Landeshauptstadt: 4500 „Ost“ für einen Marshall
Der Potsdamer Musiker, Journalist und Lehrer Reinhard Bahrke wird heute 50 Jahre alt
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Der Potsdamer Musiker, Journalist und Lehrer Reinhard Bahrke wird heute 50 Jahre alt Von Detlef Gottschling Offiziell waren im Rundfunk der DDR keine bestimmten Musiktitel oder gar Bands verboten. Eher „unerwünscht“ waren Musiker oder Gruppen, die nicht in das ideologische Bild passten – wie die Rolling Stones. Der das sagt, der sollte es wissen: Reinhard Bahrke, inzwischen ein alter Hase beim Radio, hat miterlebt, wovon andere heute nur noch munkeln: Radiomachen in der DDR. „Es gab natürlich Titel, die haben wir nicht gespielt, weil sie eben vom damaligen Musikchef abgelehnt wurden. Kein Musikprogramm wurde ohne vorherige Abnahme gesendet“, erinnert sich Bahrke. Solche „Impulse“ aus der Redaktionsleitung seien in einem Regionalsender wie in Potsdam aber eher ein Ausdruck vorauseilenden Gehorsams gegenüber vorgesetzten Instanzen im zentralen Rundfunk der DDR in Berlin gewesen. Reinhard Bahrke ist heute Redakteur beim öffentlich-rechtlichen Radiosender Antenne Brandenburg und hat so den direkten Vergleich. „Na klar, früher gab es eine Quote – das hieß: Zunächst 60, später 70 Prozent der Musik im Programm musste aus der Produktion der sozialistischen Länder stammen.“ Der Redaktionsleiter machte Kontrollen – ob jemals einer nachgerechnet hat, weiß Bahrke nicht. Es habe auch nie jemand schriftlich erklärt, dass die Rolling Stones verboten wären – doch das Gerücht hielt sich standhaft bis Anfang der achtziger Jahre. Etwas lockerer sei es bei dem Jugendsender DT 64 – der Name stammt vom Deutschlandtreffen 1964 – gewesen. Der habe den speziellen Auftrag gehabt, mit einem „internationaleren“ Musikangebot die Jugendlichen der DDR von Sendern wie dem Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS) fernzuhalten. Es habe aber auch als Redakteur in einem kleinen „Provinzstudio“ Spaß gemacht, Songs junger engagierter Autoren wie René Decker oder Arnoldt Fritzsch, die internationalen Vergleichen standhielten, zu entdecken und ins Programm zu nehmen. So entwickelten Redakteure ihre eigene Handschrift. Start als Autoschlosser Reinhard Bahrke erblickte am 25. März 1954 in Potsdam das Licht der Welt, ging hier zur Schule, lernte den Beruf des Kraftfahrzeugschlossers im Volkseigenen Betrieb „Max Reimann“ und wohnte mit seinen Eltern im Neuen Garten gleich neben dem Planetarium. Nach der Armeezeit bewarb er sich am Institut für Lehrerbildung (IfL) in Potsdam, und da Männer in dem Beruf immer gebraucht wurden, studierte er bald: Deutsch, Mathematik und Musik für die Unterstufe. Doch er musste auch in die oberen Klassen, wurde als Musiklehrer eingesetzt. Also holte er in dem Fach noch das Diplom an der Pädagogischen Hochschule in Potsdam nach und stand wieder vor den Klassen. In der damaligen „Lenin“-Schule, die heute den Namen Voltaires trägt, in der Schule 14 sowie in der Dortu-Schule. Er machte quasi sein Hobby – das Gitarrespiel – zum Beruf, erwarb noch zu DDR-Zeiten den Berufsausweis als Gitarrist. Bahrke machte sich so seine eigenen Gedanken zum System im Osten Deutschlands, sprach mit Schülern kritisch über Themen die sie wirklich interessierten, und versuchte, sie auf das reale Leben in einer sich verändernden Zeit vorzubereiten. Das traf nicht bei jedem Vorgesetzten auf Gegenliebe. Schließlich bewarb er sich beim Radio, schloss vorher dazu eine Vereinbarung mit dem Bezirksschulrat. Denn einfach in der Schule kündigen, das ging nicht. Der Sender Potsdam bei Radio DDR suchte einen Musikredakteur und fand ihn zum 1. September 1986 in Reinhard Bahrke, der nach dem Fall der Mauer zur Gründungsmannschaft der Landeswelle „Antenne Brandenburg“ gehörte. Er leitete ab dem 1. Februar 1990 die Musikredaktion des Funkhauses Potsdam und seit 1992 – nunmehr Landeswelle des frisch gegründeten Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB) – die gesamte Musikredaktion von Antenne Brandenburg bis 1998. In einer Zeit vieler Seiteneinsteiger untermauerte er mit einem postgradualen Journalistik-Studium Anfang der 90er Jahre seine Tätigkeit im Medium Hörfunk. Auf den Spuren Eric Claptons Gitarrist ohne Band – das war für Eric-Clapton-Fan Reinhard Bahrke unmöglich. Angefangen hatte alles im Jahr 1971 mit der Gruppe „Meridian“, später folgte „Privileg“. Mitbegründer der legendären Band „Erna Schmidt“ war Bahrke ebenfalls, dann folgten „Atlas“, nebenbei die Gruppe von Detlef Feister und schließlich 1984 bis 1987 die „Orions“. Dann wurde die Zeit knapp. Doch auch heute wird die Musik von Bahrke noch gelebt: Zur vergangenen Weihnachtfeier im Sender hatte man sich zusammengefunden, sechs Wochen vorher zwölf Titel geprobt, sich den Namen „Jingle Boys“ gegeben und nun „sagen alle, dass wir weitermachen sollen." Zum kommenden Baumblütenfest in Werder kann sich das Publikum davon überzeugen. Schön sei, dass es für dieses Hobby heute die Instrumente und Verstärker im Laden gibt, von denen die jungen Burschen damals nur träumen konnten. In der DDR habe das immer etwas Kriminelles gehabt: „Ich wollte gern einen Gitarren-Verstärker der Marke Marshall spielen.“ Die Band Erna Schmidt kam gerade richtig zum Laufen, und Bahrke hatte sich eigentlich bei einem Bastler einen Transistor-Verstärker bestellt. „Der sollte 2000 Ost-Mark kosten – wurde und wurde aber nicht fertig.“ Da tat sich an der Berliner Musikhochschule eine Quelle auf: Für 4500 DDR-Mark sollte jemand einen „Marshall“ aus dem Westen besorgen können, hieß es. Dann kam der große Tag: In einer Studentenwohnung im Prenzlauer Berg musste Bahrke das zum Teil geborgte Geld auf den Tisch legen. Doch von dem Verstärker war keine Spur. Der sollte erst „besorgt“ werden. „Wir trauten dem Typen nicht und sind ihm gefolgt.“ Eine Straßenecke, noch eine – da stand ein Wartburg Tourist, an dem der Vermittler verhandelte. Als er seiner „Verfolger“ gewahr wurde, sprang der Fahrer des Autos heraus, schimpfte, fuchtelte wild mit den Armen, öffnete die Heckklappe, stellte einen nagelneuen „Marshall“-Verstärker mitten auf die Straße, sprang ins Auto und brauste davon. „Ich habe fast geheult, als ich das Ding in die Arme schloss.“ Er spielte darauf viele Jahre – auch „verbotene“ Stücke
Detlef Gottschling
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