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Landeshauptstadt: „Ab heute heißt Du Sara“

Bewegende und lustige Ereignisse aus der Geschichte der Siedlung Eigenheim

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Teltower Vorstadt - Ursula Stark ist „erst“ in den 1970er Jahren in die Siedlung Eigenheim gezogen. Dennoch hat sie sich den Alteingesessenen Waltraud Schmidt (83), Jörg Bernatzki und Harry Kluge angeschlossen, die der Geschichte des Wohngebietes nachgehen. Es war durch einen 1921 gegründeten Kleinsiedlerverein des Bundes Deutscher Bodenreformer 1923 mit 275 Parzellen auf 40 Hektar auf den Weg gebracht worden. Die Forschungstätigkeit führte jetzt zu einer ersten Ausstellung, die bis zum 26. November in der Martin-Luther-Kapelle am Försteracker gezeigt wird. Sie ist dienstags und donnerstags von 15 bis 18 Uhr und zu den Gottesdiensten zu sehen.

Ursula Stark hat besondere Gründe für ihr Engagement. Ihr Wohnhaus Ravensbergweg 4 gehörte ursprünglich dem Maurerpolier Karl Fabig. Er war als Schöpfer der „Damaschke-Bank“ eine Ikone in der Siedlung. Der seit 1907 in Werder (Havel) lebende Adolf Damaschke ist als Begründer einer Reformbewegung in die Geschichte eingegangen, die sich für die Vermittlung preisgünstigen Bodeneigentums an Handwerker und Arbeiter einsetzte. Der populäre Politiker, der 1922 sogar als Reichspräsident im Gespräch war, nahm Einfluss auf das Entstehen der Siedlung Eigenheim und war am 4. Juli 1927 auch Gast bei der Einweihung der nach ihm benannten Bank, die heute noch steht.

Zweiter Grund für Ursula Stark, sich an der Arbeit der Gruppe zu beteiligen, ist die deutsch-jüdische Journalistin Inge Deutschkorn. Sie war mit ihrer Mutter Ella 1944 von der Witwe Fabig in das Haus am Ravenbergweg aufgenommen und so gerettet worden. Später gelang den beiden Frauen mit Hilfe gefälschter Papiere die Emigration. Der Vergessenheit entrissen wurde diese ungewöhnliche Episode, als ein Filmteam in der Siedlung Szenen für einen Film nach dem „Ich trug den gelben Stern“ genannten Lebensbericht Inge Deutschkorns drehte, auf dem auch das vielbeachtete Theaterstück „Ab heute heißt Du Sara“ fußt. Die in Berlin und Tel Aviv lebende Autorin hält Kontakt zu Ursula Stark und war im Frühjahr zu einer Lesung zu Gast.

Zu den ungewöhnlichen Seiten der Eigenheim-Siedlung zählt der Austellungsort: die schlichte Kapelle, die einst die Kalikumpel eines dann aufgelassenen Bergwerks bei Staßfurt zum Gebet rief und 1934 preiswert angekauft werden konnte. Sie weist mit ihrer von dem 1998 verstorbenen Kirchenbaurat Winfried Wendland geschaffenen liturgischen Ausstattung auch auf die bescheidenen Einkommensverhältnisse der Siedler hin. Oft konnten sie längere Zeit die für vier Mark je Quadratmeter erworbenen Grundstücke nicht einmal mit einer bescheidenen Laube, geschweige denn mit einem Eigenheim bebauen. Bei der Ausstellungseröffnung gab ein „Ureinwohner“ dazu eine Anekdote zum Besten. Laut dem Potsdamer Volksmund folgte südlich der Langen Brücke auf den Alten Friedhof der Neue Friedhof und dann der „Hypothekenfriedhof“ als Spottname für die Siedlung Eigenheim. Für Erheiterung sorgte auch Waltraud Schmidts Erwähnung der unvergessenen „Männerfalle“. Im Winkel zwischen Heinrich-Mann-Allee und Drewitzer Straße gelegen, hinderte die urige Barackengaststätte bis über die politische Wende 1989 hinaus so manchen braven Ehemann an der pünktlichen Heimkehr in sein Siedlungshäuschen. Heute steht hier eine Tankstelle mit Autowaschanlage.

Die Gruppe der Laienhistoriker möchte weiter fleißig Erinnerungen, Dokumente und Bilder sammeln, um schließlich über die Auftaktausstellung hinaus eine Chronik zusammenzustellen. Vielleicht könnte sie schneller vorankommen, wenn sie enger mit der IG „Siedlung Eigenheim“ zusammenwirken würde. Die nimmt sich vornehmlich der Gegenwart an, zum Beispiel durch die Wiederbelebung des früher traditionellen Siedlungsfestes in diesem Sommer und die Neuauflage des Bebauungsplans zur Sicherung des Siedlungscharakters ohne überdimensionierte Neubauten.

Erhart Hohenstein

Erhart HohensteinD

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