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Patienten willkommen heißen. Auch das gehört zu den Aufgaben von Farhat Siddiqi, die im Nervenzentrum Potsdam zur Medizinischen Fachangestellten ausgebildet wird.

© Andreas Klaer

PNN-Serie: Angekommen in Potsdam: Ab jetzt im kleinen Schwarzen

Vor 13 Jahren kam Farhat Siddiqi nach Potsdam, macht jetzt eine Ausbildung und will danach studieren. In Afghanistan wäre das so kaum möglich gewesen.

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Sie kommen aus Afghanistan, Syrien, Eritrea oder Kamerun und hoffen auf ein besseres Leben in Deutschland. Doch in der Realität haben es die Flüchtlinge hier oft schwer – es gibt Probleme mit der Sprache, der Arbeitserlaubnis oder den neuen Nachbarn. Jeden Donnerstag stellen die PNN einen Menschen vor, der zumindest ein Stück weit in Potsdam angekommen ist.

Einen Patienten für ein EEG zu verkabeln, sei gar nicht so schwer. Das habe sie schon im ersten Lehrjahr machen dürfen, sagt Farhat Siddiqi. „Man schaut halt erstmal zu, wie es die Kollegen machen, und dann schauen die zu, ob man selbst alles richtig macht.“ Jetzt ist Farhat, 23 Jahre alt, im dritten Ausbildungsjahr zur Medizinischen Fachangestellten, ihr Arbeitsplatz im Nervenzentrum Potsdam ist mal hinterm Anmeldungstresen, mal im Labor oder in der Diagnostik. Aber obwohl es ihr gut gefällt, möchte sie anschließend, wie drei ihrer großen Geschwister, noch studieren, vielleicht etwas im Bereich Gesundheitsmanagement. Oder Erziehungswissenschaften. Sie ist noch etwas unentschieden.

Dass ihr überhaupt so viele Möglichkeiten offenstehen würden, war damals, vor etwa 13 Jahren und noch früher, nicht abzusehen. Damals lebt die Familie in Kabul, zeitweise auch in Pakistan, zwischen den Bürgerkriegsfronten geht es hin und her, ein Leben aus dem Koffer. „Ich bin nur bis zur dritten Klasse in eine Schule gegangen“, sagt Farhat Siddiqi. Die insgesamt acht Geschwister werden meist zu Hause unterrichtet, Jungen und Mädchen. „Mama hat immer gesagt, Bildung ist das Höchste. Für alle.“

Den Kindern gelingt der Neuanfang

Als der Vater aufgrund seines politischen Engagements gegen die Taliban in Gefahr gerät, flüchtet er als erster nach Deutschland, zwei Jahre später holt er die Familie nach. Was dem Vater und auch der Mutter aufgrund sprachlicher und gesundheitlicher Probleme in Deutschland nicht mehr gelingt – ein beruflicher Neubeginn – das schaffen die Kinder umso besser.

Farhat Siddiqi erinnert sich an ihre erste Schulerfahrung in Potsdam. Damals war sie zehn Jahre alt. Zunächst besuchte sie für sechs Monate einen Sprachintensivkurs in der Karl-Foerster-Schule, dann kam sie in eine normale vierte Klasse. Der Unterricht in der neuen Sprache war anstrengend. „Deutsch und Geschichte waren schwer. Nur Mathe ging so einigermaßen“, sagt sie. An der Lenné-Schule machte sie Abitur und fand dann problemlos eine Lehrstelle.

Erst jetzt entschied sich Farhat Siddiqi für ihr Kopftuch

Vielleicht wäre es schwieriger gewesen, hätte sie damals schon ihr Kopftuch getragen. Das trägt Farhat Siddiqi nämlich erst seit wenigen Wochen. „Es war an der Zeit. Es fühlt sich für mich jetzt richtig an“, sagt sie. Als sie ganz neu in Deutschland waren, legten die Mädchen ihre Kopftücher ab. Der Vater spürte, dass sie es in der Schule schwer haben würden und stellte ihnen frei, es zu tragen oder nicht. Erst jetzt entschied sich Farhat dafür. Ihr Chef und die Kolleginnen fanden das völlig unproblematisch. „Nur die Patienten erkennen mich manchmal nicht“, sagt sie und lacht. Ein positiver Effekt: Neue muslimische Patienten fühlen sich manchmal ein wenig entspannter, wenn sie ihr in der Praxis begegnen.

Ihren Nebenjob in einem Klamottenladen ist sie allerdings los, dort konnte man das mit dem Tuch nicht verstehen. Aber das hat sie in Kauf genommen. Dass in Deutschland über das Kopftuch gestritten wird, kann sie nicht nachvollziehen. „Ich lebe in einem freien Land und das Tuch ist ein Teil meiner Religion.“ Zu kaufen gibt es die Tücher in arabischen Boutiquen in Berlin, Farhat Siddiqi hat jede Menge davon zu Hause, auch bunte. „Aber das kleine Schwarze passt immer“, sagt sie.

Potsdam ist Heimat

Potsdam ist für sie mittlerweile Heimat geworden. Sie findet, dass die Willkommenskultur für die neuen Flüchtlinge stärker ist als die Ausländerfeindlichkeit. Sie selbst habe keine schlechten Erfahrungen gemacht. Vor zwei Jahren war sie das erste Mal seit der Flucht wieder in Kabul, besuchte ihre große Schwester, die dort mit ihrer Familie lebt. Und fühlte sich als Frau oft unsicher. Auch die Präsenz des Militärs fand sie bedrohlich. Ihr Platz, sagt sie, ist hier in Deutschland.

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