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Landeshauptstadt: Abi im Doppelpack

Wendekinder machen Abitur: Die Zwillinge Janine und Nadine Ryll gehen nun getrennte Wege

Zwei Zeugnisse, zwei Kleider, zweimal die ganze Aufregung vor dem Abiball – aber jetzt ist es geschafft. Ein entspanntes Lächeln huscht über die zwillingsgleichen Gesichter von Nadine und Janine Ryll. Seit Samstag dürfen sie sich erfolgreiche Abiturientinnen nennen. Mit der Note 1,9 haben sie die 13. Klasse der Potsdamer Lenné-Gesamtschule abgeschlossen. Der feierlichen Zeugnisausgabe im Audimax der Universität folgte eine rauschende Ballnacht. Toll sei es gewesen in der Berliner Universal Hall.

Und nun? Die Schwestern zucken mit den Schultern. Komisch ist das, wenn niemand mehr etwas von einem will. Die Sommerstille legt sich über den Prüfungsstress der vergangenen Wochen. An Ferien aber denken die beiden nicht. Arbeiten wollen sie, Geld verdienen und bald hinaus in die Welt. Janine zieht es nach Afrika, wo sie ein Freiwilliges Soziales Jahr leisten will, und Nadine möchte als Au-pair nach Frankreich. Neugierig sind sie, wollen Erfahrungen sammeln und die Sprachen testen, die sie in jahrelangen Trockenübungen trainiert haben. Endlich freischwimmen.

Dass dies für sie die erste lange Trennung voneinander bedeutet, verunsichert die Zwillinge ein wenig. Sie wissen nicht, wie sie damit umgehen werden. Zurückschrecken aber werden sie nicht. Die Lust ist größer und auch der Mut, nun im Alleingang loszumarschieren. Und das, wo doch die eine bisher selten einen Schritt ohne die andere tat: Dreizehn Jahre drückten sie dieselbe Schulbank, tanzten im selben Ballett, später in derselben Tanztruppe. Bis zur siebenten Klasse waren sie äußerlich kaum auseinanderzuhalten.

„Dann aber“, erzählt Janine, „hatten wir genug von den ewigen Verwechslungen.“ Neue Schule, neues Outfit, hieß die Devise. Seit sie an der Lenné-Schule lernten, pflegte jede ihren Stil. Nadine gibt sich inzwischen sportlich mit braunem Haar, die blonde Janine bevorzugt die elegantere Note. Vielleicht war dies ein notwendiger Schnitt, der äußerlich zeigte, was bei Zwillingen nicht offensichtlich ist: die eigene Individualität. Die aber entwickelten die beiden so normal und so einzigartig, wie jeder und jede andere in ihrem Alter.

Nadine ist die Ruhigere. Sie will Sprachen studieren, vielleicht Dolmetscherin werden. Janine hingegen ist direkter, redet mehr, interessiert sich für Psychologie, könnte sich aber auch für Erziehungswissenschaften entscheiden. Dass ihnen die Welt offen und tausend Wege zur Auswahl stehen, finden die beiden gut und richtig. Sie sind Wendekinder, 1990 geboren. Die Beschränkungen der Vergangenheit, die Teilung in Ost und West – das ist für sie Geschichte, taucht hier und da in den Erzählungen von Eltern und Verwandten auf. Sie selbst fühlen sich als Deutsche, mehr noch als Europäerinnen, die alle Möglichkeiten nutzen werden, um sich grenzüberschreitend zu bilden.

Schon während der Schulzeit waren sie mehrmals im Ausland, mit dem Englisch-Leistungskurs in London, zum Schüleraustausch in Dänemark, im Skilager in Italien. Im Nachhinein sind das für sie die schönsten Erinnerungen an eine Schule, an der sie sich als Heranwachsende wohl und geborgen fühlten. „Wir hatten sehr fürsorgliche und verständnisvolle Lehrer“, sagt Janine. Angst oder negativen Leistungsdruck habe sie nicht gespürt. Die Gesamtschule habe eben den Vorteil, Kurse nach den eigenen Stärken und Schwächen wählen zu können, viel in Gruppen zu arbeiten und sich in freien Zusatzstunden auf Tests vorzubereiten. Auf diese Weise haben die eher sprachbegeisterten Zwillinge sogar an Mathematik Spaß gefunden. Und zwar in der Oberstufe, wo es richtig kompliziert wurde. „Die Lehrer waren wirklich hilfsbereit“, bestätigt Nadine. Das habe sie auch in die Dankesrede hineingeschrieben, die zur Zeugnisausgabe verlesen wurde.

Vor den Lobgesängen jedoch stellten die Abiturienten ihre Lehrer am letzten Schultag noch einmal auf die Probe. Bei Ritterspielen musste sich das Kollegium mutig und tapfer zeigen, im Minnegesang Musikalität und beim Wagenrennen Geschicklichkeit beweisen. „Aber auch das ist nun vorbei“, sagt Janine mit einem Anflug von Wehmut in der Stimme. Schnell lachen die jungen Frauen darüber hinweg. Zu aufregend ist das, was jetzt vor ihnen liegt.

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