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PYAnissimo: Absatzmarkt für Marmelade

Auf Anraten der Regierung habe ich unsere Vorräte überprüft und kann sagen: Es sieht gut aus. Sollte uns das Wasser ausgehen, haben wir genug Roten im Keller.

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Auf Anraten der Regierung habe ich unsere Vorräte überprüft und kann sagen: Es sieht gut aus. Sollte uns das Wasser ausgehen, haben wir genug Roten im Keller. Katzenfutter haben wir sowieso immer gebunkert, und die Sorten Hühnchen mit Wildreis und Spargel oder Lachs mit Pasta scheinen notfalls sogar Frauchen-tauglich. Außerdem habe ich in diesem Jahr zum ersten Mal Marmelade gekocht. Hat sich also sofort gelohnt.

Aber nicht nur wegen der Katastrophenvorsorge, sondern weil ich den Schuster wechseln will. Ich suche einen, der mich längerfristig begleitet. Weg vom Minutenmann im Einkaufszentrum zu einem, der sich auf mich, meine Füße, Gebrechen und Macken, einstellt. Der weiß, das ist die Frau, die Klackerabsätze will, obwohl er ihr erklärt hat, dass die weichen besser wären für die Wirbelsäule. So in der Art.

Bei der Winterschuhdurchsicht stellte sich heraus: Zwei Paar brauchen neue Absätze. Ein Freund empfahl mir seinen Schuster. Jemand, der noch richtig Handarbeit betreibt, genähte Sohlen und so. Den wollte ich ausprobieren. Was soll ich sagen, der Mann ist ein Musterbeispiel an Tarnung. Ich war schon hundert Mal an dem kleinen Weberhaus vorbeigelaufen – das winzige Firmenschild hatte ich nicht für voll genommen. Das Haus ist unsaniert, den Mann darin vermutete ich uralt.

Ich lag komplett falsch. Der Typ ist nicht blutjung, aber noch von dieser Welt. Er trägt Jeans und hört Popmusik. Hinterm Tresen zwei Maschinen, im Nebenraum kleineres Gerät. Regale voller Schuhe, Leder, Leisten. An den Wänden Schautafeln mit dem menschlichen Knochengerüst, insbesondere Bein und Fuß. „Ich mach auch Maßanfertigung“, sagt er.

Meine Schuhe werden dauern, er fährt erstmal in Urlaub, und er ist ja alleine. Er hat sieben Lehrlinge ausgebildet, geblieben ist keiner. Zusammen arbeiten, das sei so eine Sache. Jedenfalls gibt es viele Potsdamer, die Liebesbeziehungen mit ihren Schuhen führen. Er zeigt ein Paar mit handgenähten, zweifarbigen Sohlen. „Die Luxusklasse, 80 Euro“, abholbereit. Neulich habe eine Berliner Zeitung über ihn berichtet. Nur eine Notiz in einem Text über Babelsberg. Prompt kamen neue Kunden. Wann soll er das schaffen? Er will nur in Ruhe arbeiten und Qualität liefern. „Die Absätze für einen Zehner – die halten.“

Über dem niedrigen Türsturz hängen gerahmte Meisterbriefe, historische, bunte Kunstwerke. Aus seiner Meisterklasse ist er der einzige, der noch in seinem Beruf arbeitet. Wer will schon Schuster werden? Reich wird man dabei nicht. Klar, er könnte die Preise erhöhen, aber dann könnten sich die Omas aus der Nachbarschaft ihren Kiezschuster nicht mehr leisten. Und die bringen ihm nicht nur ihre Schuhe. Auch Gemüse aus dem Garten und Marmelade. Deshalb bin ich sehr froh, noch Gläser mit Brombeere im Regal stehen zu haben. Falls ich mal dringend einen Termin brauche. Schlechte Schuhe wären eine Katastrophe.

Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg

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