Homepage: Abstand zur eigenen Identität Regiestudentin Tinatin Gurchiani erhielt den DAAD-Preis der HFF
Tinatin Gurchiani spricht vorsichtig. Sie ist nur auf dem Handy zu erreichen, irgendwo in ihrem Heimatland Georgien.
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Tinatin Gurchiani spricht vorsichtig. Sie ist nur auf dem Handy zu erreichen, irgendwo in ihrem Heimatland Georgien. Sie ist dort, um ihren neuen Film vorzubereiten. Man wird neugierig auf diese Frau, die in Potsdam Regie studiert und von der zwei Professoren der HFF so sehr geschwärmt haben. Ihre Stimme klingt etwas schräg, man hört den georgischen Akzent. Wir entscheiden uns für ein Interview per Email. Wo sie gerade ist, jetzt, wenn sie die Fragen beantwortet? „Ich sitze hier in meiner Wohnung in Tiflis. Es ist eine heiße Sommernacht. Ich habe alle Fenster offen und fühle mich wohl.“
Tinatin Gurchiani ist 34. Ihr Weg verlief zielgerichtet, doch nicht gerade: „Ich wollte schon seit meiner Kindheit Filme machen. Das war ein großer Traum von mir, das wussten alle.“ Später wird sie in einer Mail schreiben: „Ich habe zu wenig gemacht, um so ein großes Portrait zu verdienen.“ Eine sehr zaghafte Frau blitzt immer wieder zwischen ihren Antworten auf. Und eine sehr starke Frau, die weiß, was sie will und was nicht. Sie hat einige Ausbildungen gemacht, bis sie zum Regiestudium gekommen ist. „Dass ich doch noch Regie studiere, daran haben manche nicht mehr geglaubt. Für die war es dann eine ziemliche Überraschung“, so die Georgierin, die mit 19 Jahren nach Deutschland gekommen ist. „Ich wollte fern von Georgien meine Wurzeln definieren. Ich wollte Abstand zu meiner Identität schaffen, um sie dadurch bewusster wahrzunehmen.“ Mittlerweile hat Tinatin Gurchiani drei Filme gedreht: „Ein Sonntag“ (2004), „AugenBlick“ (2005) und „Frauenbilder“ (2007).
Im Juli erhielt sie den DAAD-Preis der HFF Potsdam. „Bei dem Preis geht es um die Verständigung der Völker“, erklärte der Regieprofessor Klaus Stanjek, der Tinatin Gurchiani für den Preis vorgeschlagen hat. „Tinatin Gurchiani hat sich für die interkulturellen Unterschiede immer sehr sensibel gezeigt“, so Stanjek. „Sie kann verstehen, dass Menschen Dinge ganz anders sehen, etwa weil sie aus anderen Nationen kommen und anders aufgewachsen sind.“ In ihrem Dokumentarfilm „Ein Sonntag“ zum Beispiel zeigt sie an Hand von drei Menschen aus Berlin, wie Deutsche ihren Sonntag verbringen. „Die Deutschen ignorieren ihren Sonntag, sie hetzen wie die Wühlmäuse im Rennrad“, interpretiert Klaus Stanjek den Film. „Es geht darum, wie verschieden Zeit wahrgenommen wird.“ Während man den Film sieht, erfährt man jedoch, wie einem die Zeit zäh wird und nicht recht vergehen will: Die zwei Frauen und der junge Mann wecken nicht wirklich ein Interesse.
Ganz anders ihr Spielfilm „AugenBlick“, der in Nahaufnahmen die Geschichte einer Frau, eines Mannes und ihres Sohnes erzählt. Die Frau ist schön, in grün gekleidet mit roten Haaren und roten Lippen auf weißem Gesicht. Der Mann ist grün-braun gekleidet, man sieht mit Bewunderung zu, wie sein Gesicht in Nahaufnahme still ist und nur eine kleine Bewegung seines Mundes alles erzählt. Die Einstellungen erinnern an Szenen aus dem Theater. Da sind ausgestreckte Hände zu sehen, die nicht ergriffen werden oder die versprechen aufzufangen, und dann fallen lassen.
„Frauenbilder“ ist Tinatin Gurchianis reifester Film. Auf dem Hauptbahnhof von Teheran stellt die Regisseurin iranischen Frauen die Frage: „Sind Sie ein glücklicher Mensch?“ Und sie fragt nach dem Leben und nach den Wünschen. Man sieht ausdrucksstarke Gesichter, umhüllt von Schleiern, und die Kamera ist ganz nah dran. „Natürlich liebe ich das Leben. Man lebt fürs Leben“, antwortet eine rotwangige Frau. Mit erstickter Stimme erzählt eine andere von einem Heiratsantrag: „Ich bin vor der Entscheidung geflohen und habe ja'' gesagt, ohne nachzudenken. Ich hätte genauso gut ,nein'' sagen können. Dieser Fehler hat mein ganzes Leben verändert.“
Es sei erstaunlich, wie vertrauensvoll die Frauen sich in dem Film äußern, findet Prof. Dieter Wiedemann, Präsident der HFF und Überbringer des DAAD-Preises. „Tinatin Gurchiani geht mit sehr hoher Subtilität und Herzenswärme an die Kamera. Wenn sie sich anderen Menschen nähert, versucht sie, dem anderen zu zeigen: Du bist wertvoll für mich. Ich will dich nicht verkaufen.““ Am Ende des Filmes singt ein kleines Mädchen, unbekümmert, mit strahlenden Augen, und es gibt dem nachdenklichen Film einen fröhlichen Schlussklang: „Lass die Welt Welt sein!“
Was sich die Filmstudentin für die Zukunft wünscht? „Große Sensibilität, große Offenheit, viel Inspiration, Konsequenz und Kraft, um alles auf die Beine zu stellen. Und viele Menschen, die mit mir diesen Weg gehen wollen.“
Marie Preissler
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