Wohnen in der Nutheschlange Potsdam: Albtraum im Paradies
Die Wohnung in der Nutheschlange war für eine Potsdamerin ein echter Glücksgriff, jahrelang wohnte sie in dem Neubau. Bis der Schimmel dies unmöglich machte.
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Potsdam - Es war ein Traum. Eine Wohnung in der neu gebauten Nutheschlange im Zentrum Ost, moderne Architektur und viel Grün mitten in der Stadt, der Kinderspielplatz direkt vor der Tür – und das auch noch für wenig Geld. Für Marlies-Petra Gerhard war die Nachricht, eine der begehrten Wohnungen zu bekommen, wie ein Sechser im Lotto. 14 Jahre ist das jetzt her. Damals ahnte sie nicht, dass der Aufenthalt in der Wohnung wegen der vielen Baumängel an dem Komplex in einem persönlichen Desaster enden würde.
„Ich bin damals 2001 eingezogen in die Nutheschlange, nachdem ich mich von meinem Ehemann trennen musste“, sagt die mittlerweile 51-jährige Potsdamerin. „Ich stand da mit drei Kindern unterm Arm und musste bei null anfangen. Ich wusste nicht, wohin, wollte nur weg“, erzählt die Frau etwas aufgeregt, während ihr dreijähriger Hund Pepe, ein kleiner Chihuahua, auf dem gemütlichen Sofa hin und her springt. Sie wohnt mittlerweile in der Berliner Straße, in einem gemütlichen, aber unsanierten Altbau.
Schimmel war der Grund für den Auszug aus der Nutheschlange
Grund für den Auszug aus der Nuthestraße nach nur wenigen Jahren war der Schimmel, der fast in allen Zimmern auftauchte und nicht mehr in den Griff zu kriegen war. Ihre Tochter Maria wurde krank, sie selbst auch – Marlies-Petra Gerhard leidet bis heute in regelmäßigen Abständen an schweren Asthmaanfällen.
Dabei fing alles so perfekt an. Die Gewoba, eine Tochter der kommunalen Bauholding Pro Potsdam, habe ihr im August 2001 die gerade fertiggestellte Wohnung an der Nutheschnellstraße angeboten. „Wir hatten keine Möbel, wir hatten gar nichts. Da hat mir die Gewoba sehr geholfen“, sagt Gerhard. Auch wenn es mal „nicht so ging mit der Miete“, sei eine Ratenzahlung möglich gewesen. Sie hatte nur einen Nebenjob – plus Kindergeld.
Idyllisch - aber nur auf den ersten Blick
In dieser prekären Situation war es natürlich ein Glück, die Bleibe in dem Neubau zu bekommen. Es war eine Vier-Zimmer-Wohnung, rund 90 Quadratmeter. Die Warmmiete betrug 557,31 Euro, ein Quadratmeterpreis von netto kalt unter fünf Euro – für Potsdamer Verhältnisse günstig. Für ihren Partner Detlef Wilke, der sich der alleinerziehenden Mutter annahm und einzog, war die Wohnung „schon gewöhnungsbedürftig“. Die Badezimmer ohne Fenster oder die Säule im Wohnzimmer. „Die amerikanische Küche war ich auch nicht gewohnt, ebenso die bis zum Boden reichenden Fenster. Aber es war irgendwie schön.“
Idyllisch wirkt das Areal rund um die Nutheschlange noch heute – aber nur auf den ersten Blick. Rost nagt an den Stahl- Glas-Fassaden, durchs Dach drang jahrelang Wasser ein, viele Wohnungen stehen leer, weil sie mit großem Aufwand instand gesetzt werden müssen. Für die Pro Potsdam ist der Wohnkomplex zum Millionengrab geworden. Die Sanierung der 223 Wohnungen werde wohl am Ende mehr als zehn Millionen Euro kosten, hatte Unternehmenschef Horst Müller-Zinsius kürzlich erklärt. Hinzu kommen Mietausfälle, ebenfalls in Millionenhöhe. Immerhin: Klagen der Mieter gab es nach Angaben der Sprecher von Pro Potsdam, Anna Winkler, nicht.
Nebenkosten stiegen kontinuierlich
Dennoch: „Ich habe mich da wohlgefühlt“, betont Gerhard. „Wir hatten eine riesige Terrasse und davor einen Buddelkasten.“ Dort konnten die Kinder spielen, wenn man kurz weg war, passten die Nachbarn auf die Kleinen auf. Mit den Mietern lief es richtig toll, erzählt sie. „Ich konnte die Terrasse auflassen und einkaufen gehen.“ Und einmal im Jahr gab es ein großes Grillfest, ein ganzes Schwein oder so. Doch dann – etwa 2005 – begannen die Probleme. Ein Zeichen, das etwas schieflief, waren die immens hohen Nebenkosten. „Das war ein Schmerzthema für Leute, die gar kein Geld hatten“, fügt sie hinzu. Ihr Mann Detlef Wilke ergänzt: „ Die Nebenkosten wurden immer mehr, von Jahr zu Jahr. Der Überblick war schwer zu behalten.“
Zunächst wurde die jüngste Tochter Maria – damals neun Jahre alt – krank. Jeden Monat ein paar Tage. „Ständig hatte sie etwas mit den Atemwegen“, berichtet Gerhard. „Da war vom Schimmel noch gar nichts zu sehen.“
Schimmel selbst am Bett der Tochter
Und auch die Mutter fühlte sich nicht mehr wohl und bekam eine Kehlkopfentzündung. „Als wir neue Vorhänge anbringen wollten, bemerkten wir, dass die Fensterbänke durchgeschimmelt waren, das schimmelte alles weg.“ Die Gewoba gab sich Mühe, den Schimmel zu bekämpfen. Aber der kam immer wieder durch. „Dann bekam ich Asthmaanfälle und Neurodermitis“, sagt Gerhard.
Im Bad wurde Schimmel gefunden, im Zimmer der Tochter wurden schwarze Stellen entdeckt, selbst am Bett von Tochter Maria siedelten sich die gefährlichen Sporen an. Seltsam war außerdem der Spalt zwischen der Wohnungs- und der Außenwand. „Da haben wir später lauter Müll drin gefunden, Essensreste, Putz, Papier und so weiter“, erzählt Wilke.
Auch die Ausweichwohnung war verschimmelt
Schließlich musste Gerhard ständig beim Arzt vorsprechen, der ihr auch bestätigt habe, dass Schimmel die Ursache für das Asthma sein könne. Noch heute bekommt sie Anfälle, wenn sie Parfum riecht oder Zigarettenqualm. Die Gewoba kündigte schließlich an, die Wohnung der Familie zu sanieren und bot für die Übergangszeit eine andere Wohnung in der Nutheschlange an. „Wir waren das erste Haus, das geräumt wurde. Aber auch die neue Wohnung war verschimmelt“, sagt Gerhard. Es kamen auch noch andere Probleme hinzu, weil Detlef Wilke seinen Job verlor. Da blieb keine Energie für einen Rechtsstreit. Eine nachvollziehbare Entscheidung, sagt dazu Benedikt Nowak, Anwalt beim Mieterverein Potsdam. Nicht immer sei es sinnvoll, zu klagen. Vor allem dann nicht, wenn sich der Vermieter kulant zeigt. Als es ein Jahr später darum ging, wieder zurück zu ziehen, waren die Räume plötzlich kleiner. Die Fenster gingen nicht mehr bis zum Boden, das Bett der Tochter passte nicht mehr rein. Da waren wohl zusätzliche Wände eingezogen worden, um die Feuchtigkeit fernzuhalten, vermuten die beiden. „Das wollten wir dann nicht mehr. Wir hatten genug von der Nutheschlange“, sagt Gerhard.
In ihrer neuen 100 Quadratmeter großen Wohnung in der Berliner Straße fühlen die beiden sich jetzt wohl. „Wir sind sehr zufrieden“, sagt Gerhard. Doch irgendwann wird auch dieses Gebäude saniert werden müssen. Das Haus ist nicht verputzt, Stellen in der Küche zeigen bereits schwarze Flecken. Ist es Schimmel? „Noch geht es“, sagt Marlies-Petra Gerhard und lächelt etwas verkrampft.
Stefan Engelbrecht
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