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Das Taucherschiff vom Kampfmittelräumdienst des Landes. 

© Andreas Klaer

Update

Blindgänger in Potsdam: Alle Informationen zur Bombenentschärfung am Freitag in Potsdam

Bombenentschärfung am Freitag: Große Teile Potsdams sind vom Sperrkreis betroffen. Der Verkehr wird unterbrochen, Tausende müssen ihre Wohnungen verlassen. Es könnte gesprengt werden. Der Überblick.

Am Freitag, 26. Juni 2020, soll in Potsdam eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft werden. Die Bombe wurde in der Havel, ganz in der Nähe der Freundschaftsinsel gefunden. Die Blindgänger-Entschärfung hat weitreichende Folgen: 

Bereits am frühen Morgen müssen rund 13.000 Menschen ihre Wohnungen verlassen, der Bahnverkehr und der ÖPNV werden zeitweilig eingestellt. Auch Autofahrer müssen sich auf weiträumiges Umfahren der Innenstadt einstellen.

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Ein Überblick:

Wo und wie wurde die Bombe gefunden? 

Der Blindgänger wurde nach Angaben der Stadt Potsdam bei einer systematischen Kampfmittelsondierung in der Havel gefunden. Der Blindgänger liegt in etwa drei Meter Tiefe im Schlamm der Havel.

Derzeit wird der Fluss auch an anderen Stellen abgesucht. Ab Donnerstag, dem 25. Juni 2020 ist daher der Betrieb der Fähre zwischen Auf dem Kiewitt und Hermannswerder für mehrere Wochen unterbrochen. 

Um was für eine Bombe handelt es sich?

Bei der am Dienstag in der Havel gefundenen Bombe handelt es sich nach Angaben der Stadt um eine 250 Kilogramm schwere Fliegerbombe englischer Bauart aus dem Zweiten Weltkrieg. Vermutlich ist sie am 14. April 1945 bei dem Großangriff der Royal Air Force auf Potsdam (siehe unten) abgeworfen worden. Damals wurden insgesamt 1750 Tonnen Spreng- und Markierungsbomben abgeworfen. Den weitaus größten Teil machten die 250-Kilogramm-Bomben aus. 

Nach einer Auflistung des Lokalhistorikers Hans-Werner Mihan fielen allein 3306 Bomben dieser Art auf die Stadt. Dazu noch 

  • 16 x 4-Tonnen-Bomben, 
  • 383 x 2-Tonnen-Bomben, 
  • 166 x 1-Tonne-Bomben sowie 
  • 199 x 500-Kilogramm-Bomben. 

Wann wird die Bombe entschärft? 

Die Fliegerbombe soll am Freitagvormittag, 26. Juni 2020, unschädlich gemacht werden. Geplant ist, dass Mike Schwitzke, Sprengmeister vom Kampfmittelbeseitigungsdienst des Landes Brandenburg (KMBD), nach Einrichtung des Sperrkreises mit der Arbeit beginnt. Um 8 Uhr müssen alle Menschen den Sperrkreis verlassen haben.

Wo verläuft der Sperrkreis? 

Der Sperrkreis wurde mit einem Radius von 800 Metern rund um den Fundort gezogen. Er wird begrenzt durch die Humboldtbrücke, Gutenbergstraße, Charlottenstraße, Friedrich-Ebert-Straße und Schlossstraße. Im Süden durch die Leipziger Straße, Heinrich-Mann-Allee, Friedhofsgasse, Friedrich-Engels-Straße, die Nuthe, Friedrich-List-Straße und den Park Babelsberg. 

Was liegt im Sperrgebiet? 

Der Sperrbereich umfasst große Teile der Potsdamer Innenstadt und das Zentrum Ost. 

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Unter anderem ist der Potsdamer Hauptbahnhof, die Investitionsbank des Landes Brandenburg, der Alte Markt – mit Museum Barberini, Landtag und Nikolaikirche – sowie das Filmmuseum, drei Senioren-Einrichtungen, das Sport- und Freizeitbad „blu“ am Leipziger Dreieck und das Hotel Mercure betroffen. Gesperrt werden nach Angaben der Stadt auch die Humboldtbrücke und die Lange Brücke.

Das Ernst-von-Bergmann-Klinikum wird jedoch nicht evakuiert, teilte die Stadtverwaltung am Mittwoch mit.

Wie viele Menschen sind von dem Sperrkreis betroffen? 

13.000 Menschen in der Potsdamer Innenstadt und im Zentrum Ost sind direkt von der Bombenentschärfung betroffen. Sie müssen den Sperrkreis bis 8 Uhr am Freitag verlassen. Auch liegen drei Senioren-Einrichtungen mit rund 350 Bewohnern in der Gefahrenzone. Die Einrichtungen werden ebenfalls evakuiert.

Muss ich den Sperrkreis verlassen? 

Ja! Erst wenn der Sperrkreis geräumt ist, wird Sprengmeister Mike Schwitzke mit der Entschärfung beginnen. Der Sperrkreis muss bis 8 Uhr am Freitagmorgen geräumt sein. Und daran sollte man sich auch halten: Denn bei Zuwiderhandlungen droht ein Bußgeld von bis zu 5000 Euro. Wegen Verzögerungen durch Passanten oder Anwohner in der Vergangenheit hatte die Stadt sich zuletzt entschlossen, jede Störung bei der Evakuierung und Entschärfung anzuzeigen oder selbst Bußgeldverfahren einzuleiten. „Die Störer gefährden nicht nur sich selbst, sondern auch die Arbeit des Sprengmeisters“, hatte ein Stadtsprecher im vergangen Jahr gesagt.

Wer hilft mit beim Verlassen der Wohnung? 

Informationen rund um die Entschärfung und den Sperrkreis erteilen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landeshauptstadt ab Donnerstag, den 25. Juni, von 7 bis 19 Uhr unter der Nummer (0331) 289 1677. Am Freitag sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits ab 5 Uhr erreichbar.

Was ist mit dem ÖPNV und dem Bahnverkehr? 

Der Potsdamer Hauptbahnhof liegt mitten im Sperrkreis. Der Zugverkehr wird daher während der Entschärfungsmaßnahmen ab 8 Uhr komplett unterbrochen. Wie die Stadt Potsdam mitteilte, werden Regionalbahnen umgeleitet, die S-Bahn beginnt und endet am S-Bahnhof Babelsberg.

Unterbrochen wird auch der Straßenbahn- und Busverkehr, Autofahrer müssen sich auf weiträumige Umleitungen einstellen – gesperrt werden am Freitagvormittag unter anderem die Lange Brücke und die Humboldtbrücke.

Im Detail bedeutet das: An 25 bis 30 Stellen der Stadt gibt es Sperr- und Umleitungspunkte. Die Tramlinien 91, 92, 93, 96 und 98 und ebenso alle Busse ab Hauptbahnhof sind ebenfalls betroffen. Die Busse starten und enden am Platz der Einheit in Richtung Norden und Westen sowie am Rathaus Babelsberg in südlicher und östlicher Richtung. 

Das gilt auch für die Busse aus Potsdam-Mittelmark: Die aus Werder (Havel) kommenden Linien enden am Platz der Einheit, die aus Stahnsdorf kommenden Linien am Rathaus Babelsberg. Alle Linien, die aus Richtung Beelitz/Michendorf und Schwielowsee nach Potsdam fahren, werden vom Templiner Eck zum Rathaus Babelsberg umgeleitet. Am Brauhausberg wird unter der Brücke am Finkenweg eine Ersatzhaltestelle eingerichtet.

Der Tramverkehr kommt erst zum Erliegen, wenn Sprengmeister Mike Schwitze mit der Entschärfung oder Sprengung des Blindgängers beginnt. Davor, ab 8 Uhr, fahren die Straßenbahnlinien noch ohne Halt zwischen dem Platz der Einheit und der Friedhofsgasse.

Was passiert mit der Bombe? 

Der Kampfmittelbeseitigungsdienst (KMBD) unter Leitung von Sprengmeister Mike Schwitze wird versuchen, die Bombe vor Ort zu entschärfen. Dabei kommen Taucher zum Einsatz. Sollte der Blindgänger nicht entschärft werden können, weil die Arbeit am Zünder zu schwierig und damit lebensgefährlich ist, wird die Fliegerbombe vermutlich gesprengt werden. Entschärfte Blindgänger sowie kleinere Munition oder Granaten werden zum zentralen Munitionszerlegebetrieb mit Sprengplatz in Kummersdorf/ Gut gebracht. In jedem Jahr werden durch den KMBD Hunderte Tonnen verschiedenster Kampfmittel, wie zum Beispiel: Spreng- und Brandbomben, Minen, Nahkampfmittel (z.B. Handgranaten), Granaten, Raketen und Unmengen an Kleinmunition (z.B. Infanteriemunition) vernichtet, berichtet die Polizei Brandenburg.

Könnte es Schwierigkeiten geben?

Ja. Sprengmeister Mike Schwitzke vom Kampfmittelbeseitigungsdienst des Landes Brandenburg (KMBD) berichtete am Mittwochnachmittag auf einer von der Stadt Potsdam einberufenen Pressekonferenz, dass die Bombe im Schlick der Havel liegt - drei Meter unter der Wasseroberfläche. Die Schwierigkeit sei, dass die Bombe mit der Spitze nach oben zeigt, der Heckzünder im Schlick steckt. Dadurch sei es bisher unmöglich gewesen, den Zünder freizulegen. Am Freitag wird versucht, einen Aluminiumring um die Bombe zu legen und den Zünder so frei zu spülen. Ist eine Entschärfung möglich, wird dies an Land geschehen. Wenn der Zustand des Zünders eine Entschärfung unmöglich macht, wird die Bombe im Wasser gesprengt. Auch auf die Möglichkeit sei man vorbereitet, so Schwitzke. Dafür werden mehrere Strohballen verbunden und über die Bombe gebracht. Mit einer Fernzündung würde der Blindgänger dann gesprengt werden, das Stroh soll dann den Splitterflug verhindern.

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Was ist der KMBD? 

Zuständig für die Bergung von Blindgängern ist der Kampfmittelbeseitigungsdienst (KMBD). Er ist Teil der Polizei des Landes Brandenburg und hat seinen Sitz in Wünsdorf. Der KMBD ist zudem zuständig für „die Ermittlung der Kampfmittelbelastung sowie die Nachweisführung über geräumte Flächen, die Entgegennahme, den Transport, die Lagerung und Vernichtung von Kampfmitteln“.

Wer ist bei den Evakuierungsmaßnahmen im Einsatz?

Geplant ist, dass am Freitagmorgen mehr als 400 Helferinnen und Helfer, unter anderem von der Landeshauptstadt Potsdam, der Berufsfeuerwehr, freiwilligen Feuerwehren, Bundespolizei und Polizei helfen werden, den Sperrkreis zu räumen und abzusichern, teilte die Stadt Potsdam mit.

Der wievielte Blindgänger ist das? 

Nummer 203. In der offiziellen Statistik der Stadt Potsdam werden seit 1990 Fliegerbomben ab 50 Kilogramm erfasst. Zudem wurden in den vergangenen Jahren mehrere Tonnen Munition und Granaten aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. 

Der letzte Blindgänger der in Potsdam entschärft werden musste, Nummer 202, war eine 100 Kilogramm schwere Fliegerbombe russischer Herkunft. Sie war Mitte Dezember 2019 bei der systematischen Kampfmittelsuche südöstlich der Zeppelinstraße in der Pirschheide gefunden worden. Da in diesem Bereich keine Menschen wohnen, gab es auch keine Evakuierungen. Lediglich der Auto- und Bahnverkehr wurde etwas ausgebremst. Bereits am Vormittag konnte der Sperrkreis wieder aufgehoben werden. Mike Schwitze vom Kampfmittelbeseitigungsdienst (KMBD) hatte den Blindgänger gesprengt – eine Entschärfung war nicht möglich.

Wann wurde Potsdam bombardiert? 

Der große Angriff, bei dem Potsdams Innenstadt bombardiert wurde, fand am 14. April 1945 statt. Um 22.39 Uhr begannen mehrere Hundert britische Bomber ihre tödliche Fracht über der Stadt abzuwerfen. Bereits um kurz nach 23 Uhr war der Angriff auch schon zu Ende. Die historische Innenstadt und das Gebiet rund um den Bahnhof gegenüber der Freundschaftsinsel waren so gut wie völlig zerstört.

Wer bombardierte Potsdam? 

Der Angriff auf Potsdam am 14. April 1945 wurde durch Kräfte der Royal Air Force unter Leitung des britischen Bomber Commands durchgeführt. Am frühen Abend waren an jenem Samstag von 25 Flugplätzen in Großbritannien aus 500 Lancaster und zwölf Mosquitos mit dem Ziel Potsdam gestartet. Weitere 100 Flugzeuge der Royal Air Force stiegen für drei Ablenkungsangriffe auf Cuxhaven, Wismar und Berlin auf. Rechnet man noch die 112 Maschinen für die Radarstörung und Überwachung der deutschen Nachtjagd-Flugplätze dazu, waren demnach 724 britische Flugzeuge an der Operation „Crayfish“ beteiligt – es war der letzte Großangriff der alliierten Luftstreitkräfte auf das Deutsche Reich.

Warum wurde Potsdam bombardiert? 

Eine Frage, über die sich Experten im Laufe der Jahre uneins waren. Im Jahr 2002 hatte der Historiker Jörg Friedrich in seinem Buch „Der Brand“ die These aufgestellt, dass der Angriff auf Potsdam in erster Linie einem Symbol des preußischen Militarismus gegolten habe und so der Rückhalt der Bevölkerung vollends gebrochen werden sollte. Lokalhistoriker Hans-Werner Mihan widersprach. Bereits 1997 hatte er in seinem Buch „Die Nacht von Potsdam“ von 1997 dargelegt, dass der Angriff der Royal Air Force in erster Linie dem Bahnhof gegolten habe, die Schäden an der historischen Bausubstanz eher Kollateralschäden waren. Unterstützung für seine These bekam Mihan im Frühjahr 2020 - pünktlich zum 75. Jahrestag der Bombennacht - von den Militärhistorikern Katrin Hentschel und Harald Potempa

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