Von Henri Kramer: Alle Macht dem Plenum
Das neue „Freiland“-Jugendzentrum führt die Basisdemokratie ein – nach Archiv und KuZe
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Bei strittigen Entscheidungen im gerade entstehenden „Freiland“ soll es keine Sieger oder Verlierer geben. Für das neue Jugendzentrum in der Friedrich-Engels-Straße hat sich ein sogenanntes „NutzerInnenplenum“ gebildet, das die Geschicke von „Freiland“ bestimmen soll – basisdemokratisch, bis bei Streitpunkten ein Minimalkonsens gefunden ist, gegen den es kein Veto mehr gibt.
Die künftigen Betreiber des Zentrums von der „Cultus“-Gesellschaft um den Kulturaktivisten Achim Trautvetter und Stadtjugendring-Chef Dirk Harder lassen sich mit der Entscheidung für das Plenum auf ein spannendes Experiment ein: Kann eine so weitreichende Form der Basisdemokratie in einem mit Steuergeldern geförderten Jugendprojekt funktionieren?
Die Macher im „Freiland“ glauben das. Zu einem ersten Plenumstreffen kamen am Wochenende für mehrere Stunden rund 70 Jugendliche und junge Erwachsene zusammen, um sich zu den Regeln der künftigen Zusammenarbeit zu verständigen. „Wir haben uns dafür entschieden, alle Entscheidungen im basisdemokratischen Konsens zu treffen“, erklärten Mitglieder des Plenums schriftlich auf PNN- Anfrage. Ein eigener Sprecher, der Fragen der Öffentlichkeit zur Arbeit beantwortet, soll es bei „Freiland“ nicht geben – diese Funktion übernimmt eine größere, per Computer vernetzte Arbeitsgruppe, die auch die PNN-Anfrage beantwortete.
Diese Gruppe soll nun auch bis zum nächsten Plenum-Treffen am 16. Februar die Grundsätze der „Freiland“-Arbeit – unter anderem preiswerte Angebote, Antisexismus und Antirassismus – in einer Präambel ausformulieren. Dieser Text ist vor allem für Personen gedacht, die künftig neu ins Plenum kommen: Mitentscheiden kann, wer der Präambel zustimmt. Ansonsten reiche zum „gleichberechtigten“ Entscheiden ein Alter ab zwölf Jahren und die Willensbekundung, mitmachen zu wollen, so das „NutzerInnenplenum“.
Was genau entschieden werden kann, ist noch offen. „Das wird in den nächsten Plena entwickelt“, heißt es in der Mitteilung der Plenumsgruppe. Klar sei aber, dass die „Freiland“-Trägergesellschaft „Cultus“ für die räumliche und finanzielle Koordination des Gesamtgeländes zuständig sein werde – als „gleichberechtigter“ Teilnehmer des Plenums. Der Träger habe dabei wie die anderen Teilnehmer „ein Vetorecht“, so die Plenumsgruppe. Generell könne jeder mit „klar formulierten Interessen“ zum Plenum kommen.
An Schwierigkeiten beim Finden von Lösungen in Streitfragen glaubt in der Plenumsgruppe niemand. „Konsensentscheidungen sind nicht schwieriger, sondern dauern gegebenenfalls einfach nur länger.“ Das Plenum habe diese Art der Entscheidungsfindung gewählt, um die Bedürfnisse aller Akteure zu berücksichtigen und Minderheiten mit ihren Meinungen nicht im Angesicht großer Fraktionen zu unterdrücken. Auch den Einwand, dass eine basisdemokratische Struktur konfliktfähige gegenüber schwächeren Gruppen strukturell bevorzugen kann, lässt die Plenumgruppe nicht gelten. „Durch das Konsensprinzip werden kleinere Gruppen eben nicht überstimmt, sondern jede und jeder Einzelne kann den Prozess so lange in Gang halten, bis eine Lösung gefunden ist, die allen Bedürfnissen gerecht wird.“ Angestrebt werde eine offene Gesprächs- und Diskussionskultur an, in der respektvoll miteinander geredet werde und Bedürfnisse aller ein Ort finden.
So eine Art der Meinungsfindung ist keine Einmaligkeit in Potsdam – ähnlich praktizieren es etwa das „Archiv“-Kulturzentrum in der Leipziger Straße oder das mit Beiträgen von Studenten finanzierte „KuZe“ in der Hermann-Elflein-Straße. Allerdings hatte es in der Vergangenheit mehrfach Kritik gegeben, wonach das KuZe-Plenum vor allem linksalternative Gruppen bevorzuge, andere Teilnehmer kaum eine Chance hätten, sich nachhaltig einzubringen – da linke Aktivisten wichtige Entscheidungen eben so lange diskutierten, bis Teilnehmer ohne weitere politische Vorbildung entnervt verschwinden würden. Im „KuZe“ wurden solche Vorwürfe stets strikt zurückgewiesen. Und auch im „Freiland“ gibt sich das Plenum sicher, dass das jetzt gewählte Modell „einen niedrigschwelligen Zugang“ gewährleiste und allen Aktiven die gleiche Verantwortung für das Gesamtprojekt gebe. Wörtlich schreibt das Plenum in seiner Erklärung: „Zur Demokratie gehört nun mal Sitzfleisch, denn so lang die dicke Frau noch singt, ist die Oper nicht zu Ende!
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