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SAMSTAGScocktail: Alles dreht sich

Ich gehe oft ins Kasino. Vermutlich gelte ich inzwischen sogar als Stammgast.

Stand:

Ich gehe oft ins Kasino. Vermutlich gelte ich inzwischen sogar als Stammgast. Dabei spiele ich gar nicht jedesmal Roulette. Manchmal, sogar recht häufig, trinke ich hier nur einen Nachmittagskaffee. Was ungefähr das gleiche ist wie vormittags ins Kino zu gehen: heimliches Glück. Aber da es Kino am Vormittag in allen Städten der Welt gibt, nur nicht hier, bleibt mir bloß die Fünf-Uhr-Glückseligkeit im Kasino. Das heißt der Spielbank. Spielbank klingt seriöser, nach Geschäftsabschluss.

Während sich im Hintergrund die Zahlen diskret für den Abend warmlaufen, genieße ich mein Stück Obstkuchen plus Kaffee. Vor fünfundzwanzig Jahren habe ich in diesen Räumen ja noch bevorzugt Grillteller Poztupimi gegessen. Als am Eingang noch „Klub der Künstler und Architekten – Eduard Claudius“ stand und die Familie gelegentlich sonntags hier speiste. Wer im Besitz eines Telefons war, bestellte vorher einen Tisch. Und musste sich trotzdem in die Schlange reihen. Vom Vorraum aus jedesmal der Versuch, einen Blick ins Innere zu werfen. Hoffentlich kriegen wir nicht den Tisch vorn an der Tür. Zu 13 Uhr? Momentchen, hinten sindse schon beim Nachtisch, da kassier ick gleich ab. Man half den Vorgängern in den Mantel, ging dem Kellner beim Abräumen zur Hand. Heutzutage bilden sich hier keine Menschentrauben mehr vorm Eingang. Bis auf einen Tag im Jahr, wenn das Kasino Geburtstag feiert. Dann kommen auch die Leute, die diese Einrichtung den Rest des Jahres über für gefährlich oder einen Geheimbund halten. Feierwillig harren sie in der Januarkälte aus, warten in der Schlange, bis man sie mit einem Armbändchen sowie zwei Bons versorgt, die nicht nur zu einem Freigetränk berechtigten, sondern auch zur Teilnahme an einer aufgebauten Wurf-Tombola. Zu den Roulettetischen ist an diesem Tag natürlich kein Durchkommen. So war es im letzten Jahr.

Und diesmal – alles ruhig. In diesem Jahr wird das Geburtstagsfest in den Sommer verlegt, erklärt man mir. Open air. Weil ja heutzutage immer alles open air sein muss. Eigentlich ja ein Glück, so behalte ich ihn für mich, den angenehmsten Platz für einen Nachmittagskaffee. Wie fremd in der eigenen Stadt, in einem ganz und gar fensterlosen Raum.

Unsere Autorin lebt in Potsdam. Zuletzt erschien von ihr der Roman „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“.

Julia Schoch

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