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Landeshauptstadt: Alles Glück der Erde

Schüler der Comenius-Schule bringen im Sportunterricht ein Pferd namens „Shugar“ auf Trab

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Schüler der Comenius-Schule bringen im Sportunterricht ein Pferd namens „Shugar“ auf Trab Von Guido Berg Die kleine Plattenbau-Schule in der Waldstadt trägt den Namen von Jan Amos Comenius (1592 bis 1670). Der Theologe und Reformpädagoge war viel unterwegs in Europa, sah den täglichen Überlebenskampf der Menschen. Er hätte anhand seiner Erfahrungen – Krieg, Verfolgung, Pest, Neid, Mühsal – gut auch alle Hoffnung fahren lassen können – was ihn wohl als Namensgeber einer Förderschule disqualifiziert hätte. Resigniert schreibt er: „Sie wachsen, stehen, erstarken; alles mit dem einen Ziele: zu fallen.“ Doch er findet Trost: Im „Paradies des Herzens“ herrsche Wahrheit und Ordnung, Freiheit, Friede und Leichtigkeit bei allen Verrichtungen. Die Schüler der Comenius-Schule sind geistig behindert, doch gesund am Herzen, sie lachen viel, sie können glücklich sein und das „Paradies des Herzens“ finden, mit ein wenig Hilfe nur. Die Lehrerin Susanne Volkmer hat eine kleine Weisheit als für sich wahr erkannt: Alles Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde. Seit eineinhalb Jahren gibt sie ihren Weg zum Glück weiter an die Schüler von Klassenlehrerin Anne Gorgas – im Sportunterricht. In Jütchendorf, einem Dorf süd-östlich von Potsdam besitzt Susanne Volkmer ein kleines Bauernhaus und drei Pferde. Eines von ihnen, „Shugar“ – „die Süße, frei übersetzt“ – ist eine Seele von Tier. Angeleint steht es im Innenhof, zupft ab und an ein Grashalm und scheint schlicht für jede Abwechslung bereit. Die Kinder sind es auch. Sie sitzen auf Plastikstühlen und können es kaum erwarten. „Was müssen wir beachten?“, fragt Susanne Volkmer. Mal sagt sie es selbst, mal rufen es die Schüler: Nicht von hinten an das Pferd gehen. Wenn wir von hinten rumgehen, Shugar kurz auf den Po klopfen, damit sie Bescheid weiß. Damit sie sich nicht erschreckt. Keine hektischen Bewegungen machen. Die Kinder lernen das Tier kennen und achten. „Letzte Woche hatte Anas das Pferd geputzt? Wer will heute?“ „Darf ich?“ „Ich bin dran“ Alle rufen durcheinander. Kein einziges Kind will sich drücken. „Franzi oder Max? Max ist ruhig, also Franzi“, bestimmt die Sportlehrerin. Sie hält etwas in der Hand und will wissen, was es ist: „Eine Bürste“. Nein, es ist eine Kadetsche, Bürste lässt sie nur „im äußersten Notfall“ gelten. Franziska striegelt das Pferd, dann hält Susanne Volkmer ein Pferdebein und das Mädchen muss die Hufe auskratzen. „Das stinkt ja richtig“, meint sie. „Ja, nach Pferdeäpfeln“. Beim Wechseln der Hufe trippelt Shugar notgedrungen. „Steh!“, ruft Franziska und es ist eine Frage der Interpretation, ob das Drei-Zentner-Tier gehorcht – oder nur macht, was es ohnehin getan hätte. Die schmächtige Schülerin mit der Brille scheint mit Shugars Reaktion aber sehr zufrieden und nimmt sich den nächsten Huf vor. Auf der Weide teilen sich die Comenius-Schüler in Zweiergruppen auf. Max und Franzi dürfen zuerst, die Wartenden setzten sich auf eine Reihe von Stühlen längs der Weidefläche. Max stülpt sich einen blauen Fahrradhelm über. Franzi hilft dem schmächtigen Neunjährigen auf den Pferderücken und führt die Süße mit Max obenauf am Zügel umher. Ist das Angst? Eher Langeweile? Teilnahmslosigkeit? Der Schüler ist blaß, regungslos lässt er sich über die Koppel tragen. „Max hat neue Medikamente, der ist etwas ruhig heute“, sagt Anne Gorgas. Der blonde Junge leidet an einem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom, „er ist etwas hibbelig – sonst“. „Sie scheinen ihm aber zuviel gegeben zu haben“. Die Sportlehrerin macht sich Sorgen und Anne Gorgas findet auch, „das gefällt mir überhaupt nicht mit den Pillen, er hat sonst immer so gelacht dabei.“ Da springt Anas kurz auf, setzt sich aber gleich wieder. Anas ist das einzige autistische Kind der Klasse, er spricht kaum, vielleicht mal was auf arabisch, vermuten die Lehrerinnen. „Ja Anas, du darfst auch mal hopsen zwischendurch, du bist auch gleich dran“, geht Anne Gorgas auf ihn ein. Jedes der sieben Kinder hat rechnerisch zwölf Minuten für den Kurztrip ins Paradies, für die kurzen wichtigen Momente, für den Schwall der Glückshormone. Franzi ist dran. „Sche-ritt!“ befiehlt sie dem Pferd und zieht gleichzeitig an den Zügeln. „Da bleibt sie stehen“, kommentiert Susanne Volkmer das Pferdeverhalten. Schritt fordern, gleichzeitig aber die Zügel anziehen, das sind zwei sich widersprechende Befehle. Shugar hat sich für die Anweisung entschieden, die es ihr erlaubt, schnell etwas grünes Weidegras zu zupfen. „Sche-ritt“ und „Te-rapp“, das ist Pferdesprache, erklärt Anne Gorgas. Mit dieser rythmischen Betonung verstehe die Stute die Befehle einfach besser. Während der stämmige Bastian und Anne Gorgas Anas auf den Sattel hieven, kommt Franzi zur Gruppe gerannt. „Das war Klasse!“, ruft sie und umarmt Susanne Volkmer. „Du musst aber noch mehr den Rücken durch drücken“, entgegnet die Freizeit-Rancherin und streichelt dem Mädchen übers Haar. „Huuahauuhau“, kreischt Anas. Bastian zieht an der Leine, Shugar scheint gar nicht so schnell hinterher zu wollen, wie sie könnte, Anas grinst. Drei Meter über dem Rasen fliegt er dahin. „Huuahuahuuua.“ Susanne Volkmer nimmt Shugar jetzt an die Voltigierleine, lässt ihn im Kreise traben. „Ich weiß nicht, wenn er so schreit, ob er sich freut“ „Ja, ja, er freut sich“, versichert Anne Gorgas glücklich. „Juahuahuaa.“ Anas schreit wie eine kleine Katze, findet Anne, die schon dreizehn Jahre alt ist und richtig gut reiten kann. Bei Max lässt indes die Wirkung nach, er hat ein Unkrautstrunk gefunden, eine prima Peitsche. Es soll aufpassen, dass er das Pferd nicht erschreckt, wird er ermahnt. Da erzählt er eben etwas: „Ich kriege fünf Euro Taschengeld, aber Süßigkeiten darf ich davon nicht kaufen, weil wenn ich die esse, raste ich immer aus.“ Dann sind noch Anne dran und Bastian. Bastian der Große, könnte man sagen, denn er sieht mit seinen zwölf Jahren wie ein Jugendlicher aus, reitet rückwärts, stellt sich sogar aufrecht auf den Pferdesattel. Shugar sieht gelassen den Möhren entgegen, die sie am Ende noch bekommen wird. Susanne Volkmer legt einen Balken in den Reitweg, darüber reitet Bastian nun. Das Pferd ändert für die Überwindung des Balkens den Schrittrhythmus. Das sollen die Kinder mit geschlossenen Augen spüren und sich darauf einstellen. „Reiten und Tanzen hilft, seinen Rhythmus zu finden“, erklärt die Sportlehrerin. „Auch den Rhythmus im Leben“, ergänzt sie. Dann ist der andere Bastian dran. Er hat das Down-Syndrom. Schwer ist es, ihn aufs Pferd zu kriegen. Doch einmal oben, ist das Reiten sehr seine Sache. Die Zeit ist vorbei. Bastian der Zweite soll absteigen. Er rührt sich nicht. Zeigt Unwillen. „Was willst du dann?“, fragt Anne Gorgas. Der Junge zeigt auf den Parcours. „Na ja, dann noch eine Runde“.

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