Landeshauptstadt: Alles hat seine Zeit: Trauer und Hoffung
Die Nacht von Potsdam – Augenzeugen berichten in einer bewegenden Veranstaltung des Hans Otto Theaters
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Die Nacht von Potsdam – Augenzeugen berichten in einer bewegenden Veranstaltung des Hans Otto Theaters Sechzig Jahre sind vergangen seit dem 14. April 1945. Ist des Trauerns, der Erinnerung jetzt nicht genug? „Alles hat seine Zeit“ sagt der Prediger Salomo im Alten Testament. Warum sollen Veranstaltungen Erinnerungen wachhalten? Weil es wohl keine Zukunft geben wird, keine, die diesen Namen verdient – ohne Erinnerung. Sie ist auch heute nicht distanzierter und kühler geworden als vielleicht vor Jahren, sie ist genauso unerbittlich darin, die Zusammenhänge aufzuklären gegen das Vergessen. Darauf wies am Dienstagabend in einer Veranstaltung des Hans Otto Theaters mit Augenzeugen der Zerstörung der historischen Mitte Potsdams Günter Zwanzig hin, der in England geboren wurde und in der ehemaligen preußischen Residenzstadt aufwuchs. Denn bevor es über Potsdam Nacht wurde, war es Nacht geworden über Coventry. Auch Michael Erbach, Chefredakteur dieser Zeitung, wies in seiner sensiblen und warmherzigen Gesprächsführung eingangs darauf hin: „Am 14. April 1945 kehrte der von den Deutschen verschuldete Krieg nach Potsdam zurück. Der verheerende Angriff britischer Bombenflugzeuge forderte über 1500 Menschenleben, zerstörte einmalige Kulturgüter“. Wie und was Potsdamer in dieser Nacht erlebten, erzählen 16 Augenzeugen vor rund 300 Zuhörern, darunter erfreulicherweise viele junge Leute, im Theaterhaus Am Alten Markt. Die meisten der Erzählenden waren damals Kinder oder Jugendliche. Jeder hat seine eigenen Erinnerungen, seinen Blick auf die Ereignisse der Bombennacht und kurz danach. Zwar wirken die Berichte von einigen Männern ein wenig glatt, vielleicht deswegen, weil sie schon zu oft darüber in der Öffentlichkeit sprachen, doch den meisten Zeitzeugen ging das Erzählen bewegend nah. Und viele aus jener Generation, die die Zeit bewusst erlebten, erzählen lebendig und wahrhaftig. Ihre Beiträge, die von der vorgegebenen Zeit nur knapp bemessen sind, erhalten dadurch um so größere Dichte und Intensität. Natürlich haben sich manche Wahrnehmungen in jener Schreckensnacht bei anderen wiederholt, aber wohl für fast jeden Augenzeugen ist jenes Elend, das sich abspielte, ein stets gegenwärtiges Stück ihres Daseins geblieben. Manche möchten über das Erlebte dieser Kriegsnacht jedoch nicht reden, sie hat das Geschehene zu sehr traumatisiert. Für andere hingegen ist es wichtig, sich zu äußern, um damit die Schrecken zu verarbeiten. Auch Hermann Paeth, der damals sechs Jahre alt war, muss reden, damit „ich über die furchtbaren Erlebnisse hinwegkomme. Man hat noch bis heute so manchen Albtraum. Dann möchte man wegrennen, doch man wird von den Erinnerungen immer wieder eingeholt“. Klaus Heinrich, damals fünf Jahre alt, weiß zu berichten, wie ein Mann mit weißen Laken die Toten einsammelte, die überall herum lagen. „Aber mir war damals nicht recht bewusst, was eigentlich passiert ist.“ Anneliese Ortwein wohnte damals in Babelsberg. Als sie zur Arbeit gehen wollte, wurde sie am Stadtbahnhof Potsdam aufgefordert, die Toten mit zu „sortieren“. Unter ihnen entdeckte sie ihre verstümmelte Tante. Anneliese Boik, 1945 war sie 25 Jahre alt, berichtet, dass sie die Bombennacht in einem zum Luftschutzbunker ausgebauten Kartoffelkeller verbrachte. Der Keller wurde verschüttet. Von den 25 Personen starben elf. Die Überlebenden wurden unter großen Anstrengungen „ausgegraben“. Die Augenzeugen erinnern sich an das gewaltige Feuermeer über Potsdams Nachthimmel. Nicht von zerstörten Kunstwerken berichten sie, sondern von ihren ganz persönlichen Lebensängsten. Ausschnitte aus dem Film „Ein Ende von Potsdam“ von Hans-Dieter Rutsch, dokumentarische Texte, so aus Hans- Werner Mihans Buch „Die Nacht von Potsdam“ oder aus Sebastian Haffners Erinnerungen „Geschichte eines Deutschen“, gelesen von den Schauspielern Jennipher Antoni, Rita Feldmeier, Kay Dietrich und Andreas Hermann, sowie Musik von dem Potsdamer Komponisten Hans Chemit-Petit (Rita Nauke am Klavier), der das kulturelle Leben nach 1945 beeinflusste und ein frohmachendes Allegro aus einem Bach“schen Cembalo-Konzert, das am 9. Juni 1945 in einem der ersten Nachkriegskonzerte Potsdams erklang, gaben den Rahmen der beeindruckenden Veranstaltung. Alles hat seine Zeit – Trauer und Hoffnung.
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