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„Ich weiß nicht, wo wir da hinschlittern “ Aribert Kutschmar im Arbeitszimmer seiner Potsdamer Wohnung.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Alles Hundertwasser?

Der Architekt Aribert Kutschmar sieht die Zukunft der Städte skeptisch. In Potsdam, sagt er, „haben wir noch eine Traumsituation“

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Aribert Kutschmar weiß auch nicht, wie es weitergehen soll. Er sitzt im Arbeitszimmer seiner Zwei-Zimmer-Wohnung, vollgestopft mit Büchern – vorwiegend Architekturgeschichte und Regionalia, keine Belletristik – und schüttelt lächelnd den Kopf: „Ich kann mir die Stadt der Zukunft nicht vorstellen.“ Das lässt aufhorchen, denn der das sagt, hat gerade seinen 80. Geburtstag gefeiert und sich seit der Jugend intensiv mit Architektur und Städtebau beschäftigt. Noch immer hält der Architekt bei der Urania in Potsdam Vorträge zu diversen Themen der Architekturgeschichte. Aribert Kutschmar ist zu kernigen Urteilen fähig, hätte er irgendeine Lösung, würde er nicht damit hinterm Berg halten.

„Nehmen Sie die Literatur des 19. Jahrhunderts“, sagt der großgewachsene Mann, ein gebürtiger Berliner, der mit seiner Frau seit Jahrzehnten in Potsdam wohnt. Damals sei es doch immer nur darum gegangen: „Der Mann und die Frau kommen nicht miteinander klar.“ Heinrich Heines schlesische Weber nimmt er explizit aus, wenn er sagt: „Die hatten damals noch gar keine richtigen Sorgen.“ Die Megacitys, die Millionenstädte dieser Welt mit allen ihren Umwelt-, Ver- und Entsorgungsproblemen und der reduzierten Lebensqualität, die sie ihren Bewohnern bieten, habe es im 19. Jahrhundert noch nicht gegeben. Was Aribert Kutschmar bewegt: „Die Probleme sind nicht kleiner geworden – ganz im Gegenteil.“ Er sei froh, im 20. Jahrhundert gelebt zu haben. Von den Städten des 21. Jahrhunderts weiß er nur, dass er ihnen skeptisch entgegen sieht. „Ich weiß nicht, wo wir da hinschlittern “

Kutschmars Ideal entsprechen alte Städte wie Bamberg, Trier, Regensburg und auch Potsdam. „Nicht zu groß, intakte Innenstadt, ein Fluss, gute Beziehungen zum begrünten Umland.“ Wer als Berliner mitten im Wald stehen wolle, müsse eine Stunde mit der S-Bahn fahren. „Wir Potsdamer können noch dahin laufen“, schwärmt Kutschmar, „für das 21. Jahrhundert ist das noch eine absolute Traumsituation“. Die riesigen Wohngegenden in Asien, für Kutschmar die Negativbeispiele für das Schicksal wachsener Städte, machen ihm Angst.

Das Problem sei der Drang der Menschen in die Städte und der rarer und somit teurer werdende Baugrund. Das verteuere Kutschmar zufolge das Bauen; damit Wohnungen überhaupt noch bezahlbar bleiben, müssten Typenhäuser gebaut werden. „Überall finden sich dieselben Bauteile. Das ist langweilig“, findet Kutschmar. Schon mit dem Deutschen Werkbund, eine 1907 von Künstlern und Architekten gegründete Vereinigung, habe das industrielle Bauen begonnen. Zweckmäßig seien die in den 1920er Jahren in Berlin entstandenen Wohngebiete – die Siemensstadt und die Weiße Stadt – schon; es finde sich jedoch „nichts Pittoreskes, nichts Originelles“. Die DDR habe das dann mit ihren Plattenbauten auf die Spitze getrieben unter der Devise „schnell und billig“. Auch heute sieht Kutschmar kein Licht am Ende des Tunnels: Das tägliche Brot der Architekten seien mehrgeschossige Wohnbauten. Zwar setzten Stararchitekten Akzente. Als Beispiel nennt Kutschmar das Jüdischen Museum in Berlin: „Ein Gebäude mit großer emotionaler Kraft.“ Aber die Architektur großer Künstler sei nicht die Lösung des Problems, wie neue Wohnviertel die Qualität früherer, etwa barocker Innenstädte erreichen könnten. Überall Hundertwasser-Architektur, das gehe eben nicht, das könne niemand bezahlen, sagt Kutschmar mit Verweis auf Friedensreich Hundertwasser (1928-2000), einem Widersacher zu rationaler Architektur.

22 Jahre seines Berufslebens konnte sich Kutschmar mit Studenten über Themen wie diese auseinandersetzen. Nach seinem Architekturstudium in Dresden, seiner Zeit als Mitarbeiter der Deutschen Bauakademie in Berlin und danach des Büros für Gebiets-, Stadt- und Dorfplanung in Potsdam wurde Kutschmar Lehrer für Architekturgeschichte. Sein Arbeitsort ab 1974 war eine kleine Zweigstelle der Berliner Fachschule für Werbung und Gestaltung in der Potsdamer Schopenhauerstraße, die nach der Wende in die Potsdamer Fachhochschule aufging. Zunächst wurde die Architekturgeschichte nur als unbedeutendes Fachgebiet angesehen. Was muss ein junger Architekt von italienischer Renaissance-Architektur wissen, wenn er Plattenbaugebiete plant? Als dann aber auch angehende Restauratoren von ihm unterrichtet wurden, begann „die schönste Zeit meines Lebens“, wie Kutschmar sagt. Der Grund: „Ich eignete mich, zu lehren.“

Von seinem Redetalent kann sich bei der Urania oder der Akademie Zweite Lebenshälfte ein jeder weiterhin einen Eindruck verschaffen. Kutschmar ist ein begnadeter Wissensvermittler. Schon 1961 veröffentlichte er eine „Baustilfibel“, ein Kompendium der Architekturen der Welt mit Hunderten, wunderbar aufs wesentliche reduzierten Bauzeichnungen, das in neun Auflagen gedruckt wurde. Im April 2013 lädt er zu einer von ihm organisierten Urania-Busfahrt durch Berlin ein. Thema: „Die 1920er Jahre in der Architektur.“ Gerade diese Zeit verdeutlicht für Kutschmar das Problem unserer Tage, für das er keine Lösung weiß: Der Weg der Architektur „vom Kunstseinwollen zur Massenware“.

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