Landeshauptstadt: Alles richtig zu Ende bringen
Carsten Stärke hat seine Berufung gefunden: Im vergangenen Jahr hat der 29-Jährige ein Potsdamer Bestattungsunternehmen übernommen. Gelernt hat er Maurer
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Das Erste, worauf der Blick fällt, wenn man die Geschäftsräume betritt, ist ein Schälchen Gummibärchen auf dem Empfangstresen. „Ja, warum denn nicht?“, sagt Carsten Stärke und lächelt. „Bei einer Fortbildung hieß es sogar, man solle auch Schnaps im Regal haben. Aber so weit will ich nicht gehen. Bei uns gibt es Wasser und Kaffee.“ Carsten Stärke, 29 Jahre alt, steht in seinem Arbeitszimmer, das auch Beratungsraum ist. Er ist der vielleicht jüngste Leiter eines Bestattungshauses in Potsdam. Als er 2014 das Bestattungshaus W. Krüger in Babelsberg mit einer Filiale am Stern übernehmen sollte, sagte er zu – unter einer Bedingung: Er würde nach seiner Vorstellung renovieren. Er trennte sich von altbackenem Mobiliar, brachte Farbe an die Wände, alles wurde hell und modern und dennoch unaufdringlich. Es ist schließlich ein trauriger Anlass, der die Menschen zu ihm führt. Er will ihnen respektvoll begegnen.
Für Stärke ist es genau die richtige Arbeit. Eine Art Berufung. „Ich möchte nichts anderes machen.“ Gelernt hat er Maurer. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit meldete er sich auf eine Anzeige für einen Fahrer eines Bestattungsinstituts. Fahren kann man ja versuchen, dachte er. Dann nahm er immer mehr Aufgaben wahr und spürte, dass er das gut kann. Und dass es ihm wichtig ist. „Das ist ein Job mit Verantwortung. Wenn alles richtig zu Ende gebracht wird, das ist für die Angehörigen eine Beruhigung – und für mich auch.“ Als er seine Frau kennenlernte, druckste er eine Weile rum, bevor er von seiner Arbeit erzählte. Und sagte dann: „Wenn du damit ein Problem hast – dann funktioniert es nicht mit uns.“ Heute ist seine Familie ein wichtiger Gegenpol zur Arbeit. Sein Töchterchen ist das pralle Leben. Wenn er Kinder bestatten muss, geht ihm das besonders nahe. Mehr als wenn ein alter Mensch sein Leben beschlossen hat. Es kam vor, da riefen Eltern eines verstorbenen Kindes nachts bei ihm an. Wollten wissen, ob es dem Kind bei ihm gut geht. Baten ihn, das Kind noch einmal für sie zu streicheln. „Dann mach ich das eben“, sagt er.
Das Bestattungshaus Krüger ist eine der Nachfolgefirmen des VEB Grünanlagen und Bestattungswesen Potsdam. Insgesamt arbeiten hier fünf Angestellte und zwei Aushilfen. In den Räumlichkeiten in dem kleinen Altbau ist geradeso genug Platz für alles: Empfang und Besprechungsraum, ein großer Raum, in dem er eine Handvoll Särge ausstellt und der sich für Trauerfeiern mit bis zu 35 Personen eignet. Alles aus einer Hand. Auf Wunsch kümmert sich die Firma um sämtliche behördlichen Dokumente, organisiert Bestattung und Trauerfeier, Anzeigen, Danksagungen. Wer hier arbeitet, muss mit den Toten und den Lebenden gut umgehen können. Manchmal muss man ein Beratungsgespräch vielleicht unterbrechen, wenn die Angehörigen eine Pause brauchen. Taschentücher hat er immer bereit. Und es passiert, dass sie beim Abholen einer verstorbenen Person auf völlig hilflose Angehörige treffen. Dann rufen sie die Arbeiterwohlfahrt an und sagen, da braucht jemand dringend Hilfe. Die meisten Menschen versterben heute allerdings in Krankenhäusern oder Heimen. Und dann gibt es die Unfalltoten. Die Suizide. Wenn die Polizei anruft und sagt, bringt mal eine Wanne mit, dann weiß er, was los ist. Auch das gehört zu seinem Job. Ebenso wie das Waschen und Einbetten der Verstorbenen. Stärke zeigt den Kühlraum, davor den Stapel einfacher Särge aus unbehandeltem Kiefernholz, wie sie für die Einäscherung genommen werden. Im Regal steht ein schmaler Kindersarg, daneben noch winzigere.
Plötzlicher Kindstod ist besonders schlimm für die Eltern, sagt er. Auf einem Kleiderständer hängen Kissenbezüge und Decken, für Frauen mit Rüschen, für Männer mit Schmuckkordeln. Viele bringen die Kleidung für den Verstorbenen mit, den Hochzeitsanzug oder einfach Wohlfühlsachen, so nennt er es. Ein Stapel schlichter weißer Herrenhemden ist immer vorrätig. Jede Bestattung ist anders, auch jeder Mensch ist schließlich anders. „Manche Kunden wollen gleich einen Preis hören. Aber so arbeiten wir nicht. Wir sind kein Discounter.“ Immer mehr Menschen fragen nach einem Platz im Friedwald, auf einem anonymen Urnenfeld oder nach einer Seebestattung. Alles kein Problem.
Selbst die Urnen unterliegen einem Wandel, die Farben sind heute heller, das Design moderner. Es gibt sogar eine in Fußballform, Eltern haben diese in den Farben der Lieblingsmannschaft des Sohnes bestellt. Seine Tochter war neulich zu Besuch im Büro und stellte fest: Papa, du hast ja schöne Dosen. Er will seinen Beruf nicht verstecken. Auch seine Nachbarn zu Hause wissen Bescheid. Es war ein schönes Lob, als einer zu ihm im Treppenhaus sagte: Wenn bei mir mal das Licht ausgeht, dann kannste dich kümmern.
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