zum Hauptinhalt

Kolumne PYAnissimo: Alles so kompliziert im Terrakottaland

Ich soll übers Wetter schreiben, hat eine Kollegin vorgeschlagen. Dann tu ich das.

Stand:

Ich soll übers Wetter schreiben, hat eine Kollegin vorgeschlagen. Dann tu ich das. Wetter geht immer und ganz besonders, wenn man trotz 17 Grad allerorten Marzipankartoffeln und Pfeffernüsse um die Ohren gehauen bekommt. In zwei Wochen beginnt der Weihnachtsmarkt, unvorstellbar. Hiermit ergeht ein letzter Aufruf an alle, die noch einmal ungestört durch die Brandenburger Straße laufen wollen: Tun Sie es jetzt!

Es gibt verschiedene Thesen, wie es zur Klimakrise kommen konnte: „Danke, VW, für die globale Erwärmung und den schönen Spätherbst“, habe ich im Internet gelesen. Mein Nachbar sagt, das liegt an den Grünen, die die Kernkraftwerke abschalten und wieder mit Kohle heizen. Ich glaube, das ist die schleichende Islamisierung. Die Flüchtlinge, diese raffinierten Kerle, haben ihr Wetter mitgebracht. Super! Bald können wir die Heizpilze abstellen, Palmen und Orangenbäumchen draußen überwintern lassen. Deutschland mediterranisiert sich. Mediterran, das klingt so gesund, nach leicht verdaulicher Kost, nach Urlaub. Und für den, der keinen hat, nach langen Abenden auf der terrakotta-gefliesten Terrasse, Discounter-Oliven futternd.

Aber nur nicht gleich übertreiben mit der zärtlichen Annäherung an den Orient – der Mohr bleibt draußen. Wir haben zwar kein Problem damit, dass Neu-Potsdamer mit dunkler Hautfarbe uns die Pizza anliefern – aber als Handlanger des Nikolauses? Unterbezahlt oder möglicherweise als Ehrenamtler? Das wäre ethisch nicht vertretbar. Deshalb hätten wir den Job gerne schon selbst gemacht. Aber was wäre, wenn dann ein dunkelhäutiger Mitbürger sich benachteiligt fühlte? Weil er schließlich besser auf die Stellenbeschreibung passt? Und wären auch Mädels infrage gekommen? Afghanen? Kurden? Kurdinnen? Hätte die Stelle möglicherweise europaweit ausgeschrieben werden müssen? Hätte es dann vielleicht sogar Fördermittel dafür gegeben, für eine nachhaltig integrative, genderübergreifende Arbeitsmarktpolitik?

Nein, zu kompliziert. Mediterrania ja, aber kein Mohr. Wir haben auch so schon genug Probleme. Zum Beispiel müssen wir uns was zur Biosphäre überlegen. Wenn das mit dem Wetter so weitergeht, will da bald keiner mehr hin. Das wäre so, als würde man in Grönland einen Kühlschrank promoten wollen. Man könnte ja aus der Tropenhalle eine Flüchtlingsunterkunft machen, damit den Neuen die Akklimatisierung leichter fällt, aber das ist irgendwie auch geschmacklos. Lieber alle gleich richtig mit der deutschen Realität konfrontieren – mit zugigen Zelten und zickigen Nachbarn. „Wir hätten es eben gern früher gewusst“, sagen die immer. Und dann? Hätten sie dann ein Willkommensfest vorbereitet? Kuchen gebacken? Den Sperrmüll noch nicht gleich rausgeräumt? Ihre unverheirateten Töchter eingemauert?

Ich stelle mir vor, im Sommer 1989 hätte der Pförtner in der Prager Botschaft zu den Ossis gesagt: Mannomann, das hätte ich gern früher gewusst, dass ihr heute kommt. Und gleich so viele! Kurz vor dem Wochenende, wie soll man das alles so schnell verbuchen? Das ist jetzt 26 Jahre her und nichts wirklich Schlimmes ist passiert. Nur dass es immer wärmer wird. Aber das ist auszuhalten.

Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })