Landeshauptstadt: Alltag im Leben der Anderen
5459 Ost-Gegenstände: Der Babelsberger Requisitenfundus stattete Deutschlands Oscar-Gewinner aus
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Die Auswahl könnte größer nicht sein. Mehr als eine Million Gegenstände aus vergangenen Zeiten stapeln sich in den meterhohen Regalen, hängen von den Decken, bilden eine Kulisse der Zeitgeschichte. Vor fast drei Jahren hat auch Max Wiedemann diese Sammlung bewundert. Der Produzent war auf der Suche, er wollte einen Film ausstatten lassen. Der Titel: „Das Leben der Anderen“, in der Nacht zum Montag in Hollywood mit dem Oscar als bester fremdsprachiger Film ausgezeichnet.
Das Schreiben, mit dem Wiedemann damals bei ihm vorstellig wurde, hat Eckhard Wolf aufgehoben. Dass Wiedemann tatsächlich der Produzent des Films ist, steht darin, und das vom 21. September bis 22. Dezember 2004 gedreht werden solle. Wolf kennt sich damit aus, er war jahrelang Szenenbildner, und seit vier Jahren leitet er den Requisitenfundus von Studio Babelsberg. Er hat jeden Gegenstand, der sich in der lang gestreckten Halle verbirgt, in seinem fotografischen Gedächtnis gespeichert – von „A wie Aschenbecher bis Z wie Zahnstocher“, wie er sagt. In dieser Bandbreite hat der Babelsberger Requisitenfundus auch „Das Leben der Anderen“ ausgestattet: 5459 Gegenstände hat die Filmproduktion aus dem Fundus ausgeliehen, damit ein Stasi-Büro ausgestattet, eine Wohnung, ein Schlafzimmer, den ganzen Film. Das eine besondere Requisit habe es nicht gegeben, sagt Wolf. Denn das wirklich Besondere sei, dass ein Filmemacher mit den tausenden Alltagsgegenständen aus Babelsberg „ein Gesamtbild erstellen, eine Geschichte erzählen kann“. Mit dem Goldjungen, den Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck nun in Hollywood übergeben bekam, ist das erste Mal auch eine Ausstattung aus dem Babelsberger Requisitenfundus mit einem Oscar geehrt worden. „Einen kleinen Teil haben wir beigetragen“, sagt Fundus-Chef Wolf. Darauf seien er und die zehn Mitarbeiter stolz.
Ein paar der 5459 Gegenstände, die in „Das Leben der Anderen“ eine Rolle spielten, hat Wolf noch einmal herausgesucht. Ein ganzer Packen Stasi-Akten liegt da auf dem Tisch, daneben zwei Ausweise von Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit. Ein lang gestreckter Telefonapparat mit Wählscheibe, die seltsam knarzt, wenn man sie bedient, und bunten Knöpfen in langer Reihe. Der erste links ist für den „Ruf Chef“ bestimmt, der zweite für den Sekretär, der dritte zum „Mithören“. Von einem der unteren Fächer blickt der junge Erich Honecker nach oben – in schwarz-weiß, wie er einst in den Amtsstuben hing. Die Schreibmaschine „Optima“ aus den 1980er Jahren, auf der im Film die Protokolle getippt wurden, steht mit ähnlichen Fabrikaten früherer und späterer Epochen im Regal. Das, was Eckhard Wolf einmal schlicht „Ostkram“ nennt, hat großen Wert. Eine Vielzahl von Filmen hat der sozusagen naturgemäß auf diesen Teil der deutschen Geschichte spezialisierte Fundus – ein Großteil entstammt den Hochzeiten der Defa – bereits ausgestattet, von „Sonnenallee“ bis zu „Good Bye, Lenin!“. Dabei zähle vor allem korrekte Authentizität, sagt Wolf. Wenn den Zuschauern ein Fehler auffalle, wie etwa wenn ein Stasi-Hauptmann den Orden auf der falschen Seite trage, leide die Glaubwürdigkeit. Deshalb ist die Uniform-Jacke, die Ulrich Mühe als Hauptmann Gerd Wiesler in „Das Leben der Anderen“ trug, von „Uniformspezialist“ Klaus Geidis aus dem Babelsberger Kostümfundus mit Bedacht ausgewählt worden: Die „Waffenfarbe“ des Schulteremblems ist Weinrot, die Farbe der Stasi, der Dienstgrad Hauptmann ist an den Sternen darauf erkennbar, und die Interimsspange links auf der Brust zeigt zwanzig Jahre „Treuedienst“. Mühe trug sie übrigens in Größe 52.
Doch nicht nur als Beleg für das wohl größte „Ostgedächtnis“ Deutschlands, das im Fundus des Potsdamer Studios bewahrt wird, zählt der Oscar für „Das Leben der Anderen“. Die Auszeichnung komme gerade zur rechten Zeit, sagt Henning Molfenter, Geschäftsführer von Studio Babelsberg Motion Pictures (SBMP). In Hollywood werde damit das Bewusstsein geschärft für deutsche Schauspieler, deutsche Filme und auch für den Dreh in Deutschland, der durch den seit Jahresbeginn in Kraft getretenen deutschen Filmförderfonds wirtschaftlich noch attraktiver geworden sei. Das helfe dabei, US-Produktionen an den Standort Babelsberg zu holen, sagt Molfenter – und damit auch, die Auftragsbücher und Filmhallen zu füllen. „Das ist eine Zeit, die man nutzen muss und die wir nutzen werden.“ Ihn beeindrucke zudem immer mehr das Netzwerk der deutschen Regisseure und Filmtechniker, die den „Sprung über den großen Teich“ geschafft hätten und nun hier wie dort arbeiteten – zum Beispiel Oliver Hirschbiegel („Der Untergang“), der gerade mit Nicole Kidman „The Invasion“ dreht, oder auch Robert Schwentke, der „Flightplan“ mit Jodie Forster inszenierte und nun die Produktion „The Time Traveller“s Wife“ vorbereitet. Die 5459 Requisiten aus Potsdam für das oscargekrönte „Leben der Anderen“ verdeutlichten außerdem die Bedeutung von Studio Babelsberg im nationalen, aber auch internationalen Filmgeschäft: Das Studio gebe Impulse, werde immer mehr „zur Stütze der Filmindustrie“, sagt Molfenter.
Ganz ähnlich sieht es auch Eckhard Wolf für seinen Requisitenfundus. „Wir verstehen uns immer als Teil des Films“, er und die Kollegen seien genauso „elektrifiziert“ von einer Produktion wie die Crew, die direkt am Filmset arbeite. Vielleicht ist das eines der Oscar-Geheimnisse von „Das Leben der Anderen“: Als Produzent Max Wiedemann den Babelsberger Requisitenfundus das erste Mal besuchte, hatte er gleich ein Expose des Films mitgebracht.
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