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Landeshauptstadt: Als Märchenonkel in Form

Wenig Publikum, viel Begeisterung: Jann Jakobs nahm am bundesweiten Vorlesetag teil

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Jann Jakobs lässt sich nichts anmerken. Mit einem seiner Lieblingsbücher unterm Arm betritt der Oberbürgermeister am Freitagnachmittag den kleinen Veranstaltungsraum des Friedrich-Reinsch- Hauses des Vereins Soziale Stadt. Es ist bundesweiter Vorlesetag – eigentlich für Kinder gedacht, in Potsdam aber auch für Senioren eingeführt. Doch den Oberbürgermeister wollen da nicht viele hören: acht Zuhörer sind im Raum, als er beginnt. Jakobs lässt sich nicht weiter davon stören. Wer gekommen ist, um ihm zuzuhören, soll auch etwas geboten bekommen. Und so erzählt Jakobs freimütig von seinen ersten – nicht ganz glücklichen – Lese-Erfahrungen: „Eines Tages stand ein Vertreter vor unserer Tür und hat meiner Mutter den Beitritt in einen Bertelsmann-Lesering aufgeschwatzt, dem man dann jedes Vierteljahr ein Buch abkaufen musste“, erzählt der im Ostfriesischen Aufgewachsene. Und so musste er lesen: „Mein erstes Buch war Johannes Mario Simmels ‚Es muss nicht immer Kaviar sein' – da ging's um einen Geheimagenten, der gerne kocht“, erinnert sich Jakobs mit Befremden: „Ich war völlig überfordert.“

Trotz dieses schweren Einstiegs in die Welt der Literatur sei er irgendwann auf den Geschmack gekommen, wie auch eines seiner Lieblingsbücher beweist, das er mitgebracht hat: „Der Geist der Mirabelle“ – ein Kurzgeschichtenband von Siegfried Lenz, der noch dazu im schleswig-holsteinischen Dorf Bollerupp spielt, in dem etliche norddeutsche Originale beheimatet sind. Zum Beispiel der Mähdrescher-Fahrer Jens Otto Dorsch, der in der ersten von Jakobs gelesenen Geschichte für einen kurzen Moment zwischen die Schneideblätter steigen muss, um dort einen Ast zu entfernen: „ er bleibt noch ein Weilchen in der offenen Mähmaschine stehen, zerrt an der Astgabel und kratzt sich, von mir aus, verlegen den Kopf“, liest Jakobs vor und kratzt sich wie zufällig am Kopf. Die Anwesenden lauschen, schmunzeln und sind sich schnell einig: Jakobs macht eine gute Figur als Märchenonkel, auch wenn er nicht im beigestellten Lesesessel Platz genommen, sondern – Macht der Gewohnheit – hinterm Rednerpult Stellung bezogen hat.

Doch weiter im Text: Von weitem sieht der Ich-Erzähler, wie die Maschine sich plötzlich in Bewegung setzt und Dorsch zur Seite schleudert: „Aber eines seiner Beine war eigentümlich verkürzt.“ Als man ihm zur Hilfe eilen will, sitzt der mürrische Mäher schon wieder auf seiner Maschine, das Bein sorgfältig am Sitz angebunden: „Es war ein Holzbein.“

Die Besucher sind sichtlich angetan von den mit trockenem Humor vorgetragenen Kurzgeschichten, mittlerweile ist die Zuhörerzahl auch auf knapp 20 angewachsen. Passend zum Titel des Buches bekommt der überraschte Oberbürgermeister als Dankeschön auch noch ein Glas Mirabellen-Marmelade. „Er hat wirklich gut vorgelesen“, lobt Klaus Jorek, der heute ebenfalls zu den Vorlesern zählte. „Wenn Jakobs mal abgewählt wird, kann er das ruhig zu seinem Beruf machen!“ Das mit dem Märchenonkel.Erik Wenk

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