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Matrosenvilla in Potsdam: Als Vater Kongsnæs tapezierte

Bernd Castell wohnte als Kind in der kaiserlichen Matrosenstation. Den Wiederaufbau verfolgt er aus seiner neuen Heimat.

Potsdam war noch nie so schön wie jetzt, sagt Bernd Castell mit Begeisterung. Der 72-Jährige wohnt zwar seit einigen Jahren in Thailand. Aber seine familiären Wurzeln liegen in Norwegen und Potsdam – unter anderem in der norwegischen Matrosenstation Kongsnæs. Den Wiederaufbau hat er von Thailand aus in der Presse verfolgt. Beim diesjährigen Heimaturlaub hat er sich live angeschaut, wie der Aufbau vorangeht. „In den vergangenen Jahren ist viel passiert“, sagt Castell.

Die jetzige Potsdam-Reise wurde ein Familientreffen. Aus Norwegen kam seine Tochter mit Mann und drei Kindern dazu. Evian Castell findet es wichtig, der nächsten Generation zu zeigen, wo man herkommt. Sie arbeitet an einer Familienchronik, das verzwickte Leben des Vaters zwischen Potsdam, West-Berlin und dem norwegischen Bergen hat sie inspiriert, immer weiter zurückzuschauen und in Archiven zu graben. Um 1920, das hat sie schon herausgefunden, zog ihr Urgroßvater, ein Glaser, von Berlin nach Potsdam.

Bernd Castells Vater ist schon ein echter Potsdamer und meldet sich bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs begeistert zur Marine. „Er wurde in Norwegen stationiert und verliebte sich dort in meine Mutter“, sagt Castell. Nach Kriegsende werden der Vater und seine Braut, die sich entschlossen hat, mit ihm nach Deutschland zu gehen, zunächst in Norwegen interniert, dann nach Westdeutschland ausgewiesen. Mit Hilfe von Schleusern gelangen die beiden über die Zonengrenze nach Potsdam. Hier bekommen sie, gemeinsam mit weiteren deutsch-norwegischen Paaren, eine Baracke im Bornstedter Feld zugewiesen. „Das war damals ein kleiner Flugplatz für Doppeldecker“, sagt Castell, heute befinde sich an der Stelle der Volkspark. Die Baracke, ein ehemaliges Ersatzteillager, wird provisorisch für Wohnzwecke umgebaut. Im Garten ist ein Plumpsklo.

Sechs Jahre später zieht die Familie in einen Teil des ehemaligen Bootshauses der Matrosenstation Kongsnæs in der Schwanenallee. Ob es Zufall war oder bewusste Steuerung, dass die Familie mit der norwegischen Mutter in diesem Haus wohnen darf, das weiß Bernd Castell nicht. Der Vater ist damals bereits überzeugter Kommunist und arbeitet für den DDR-Gewerkschaftsbund FDGB, vielleicht genoss die Familie deshalb Privilegien. Denn die Schwanenallee, zwar zum Teil zerstört vom Krieg, ist noch immer ein idyllischer Flecken. Ist aber auch Grenzgebiet. Dort und im Hinterland sollten, spätestens ab Mauerbau, nur höchst zuverlässige Bürger wohnen. Bernd Castell erinnert sich an eine schöne Kindheit. „In den Büschen spielten wir Indianer, im Jungfernsee habe ich schwimmen gelernt.“

Weil der Vater mit der Blockbauweise des historischen Häuschens nichts anfangen kann, nagelt er nach dem Einzug Holzplatten an die Wände. „Damit er tapezieren konnte“, sagt Castell amüsiert. Das Haus wird mit nur einem Kachelofen beheizt. Der Junge zieht im Winter mit dem Schlitten los, zum Kohlehändler in der Berliner Straße. Immerhin haben sie Küche und Innentoilette: Die mittige Bootshalle im Gebäude war zu diesen Zwecken umgebaut worden. Die kleinen Geschwister besuchen den Kindergarten in der Villa Schöningen, die Mutter findet dort Arbeit. Rechts neben der Villa habe es damals eine Fischräucherei gegeben, erinnert sich Castell, alles habe eine beinahe ländliche Anmutung gehabt. Aber dann wurde die Grenze langsam dicht. „Erst konnte man noch zu Besuchen nach West-Berlin reisen, dann wurde das immer schwieriger.“ Die Kinder beobachten, wie plötzlich Grenzsoldaten patrouillieren. Dann wird ihnen das Baden im See verboten.

Die Mutter ahnt vielleicht etwas. Oder sie fühlt sich im kommunistischen Osten nicht wohl. Dass sie sich 1960 entschließt zurückzukehren zu ihrer Familie, davon wissen die drei Kinder, Bernd ist der älteste, nichts. „Wir hatten Fahrkarten nach Ost-Berlin. Und in Wannsee sagt die Mutter, wir steigen hier aus.“ So gelingt ihnen die Flucht – ohne Gepäck, sonst wäre man sofort aufgefallen. Zuerst habe er das als großes Abenteuer empfunden. Die Tragweite der Entscheidung, weil es kein Zurück geben würde, sei ihm damals als Teenager nicht bewusst gewesen.

Potsdam und Berlin bleiben aber Teil seines Lebens, mit 18 bekommt er ein Stipendium, um in West-Berlin eine Ausbildung zu machen. Manchmal schaut er von der Berliner Seite der Glienicker Brücke rüber nach Potsdam. Bald pendelt er zwischen Norwegen und Berlin, wo er seine künftige Frau kennenlernt, die mit nach Norwegen geht. Er kann heute nicht sagen, ob er sich mehr als Norweger oder Deutscher fühlt. „Deutschland hat die besseren Fußballer, Norwegen die besseren Wintersportler.“ Dass Kongsnæs wieder aufgebaut wird, freut ihn sehr. „Schade, dass die Ventehalle noch nicht geöffnet ist.“ Das Boothaus, wo er mal zu Hause war, ist derzeit noch Baustelle. Er wird wiederkommen und dann, wie jedes Mal, auch die Schwanenallee besuchen.

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