Landeshauptstadt: Alte Badetradition soll wiederbelebt werden
Schwimmen im Grenzfluss Oder – früher gab es Umkleidekabinen und Kinderplanschbecken
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Frankfurt (Oder) - Herbert Zühlke strahlt über das ganze Gesicht. Bei Sommertemperaturen badet der 66-Jährige im seichten Wasser der Oder. Der Mann aus Hönow bei Berlin trägt einen altmodisch anmutenden schwarz-weiß geringelten Badeanzug mit halblangen Ärmeln und Hosenbeinen. Zühlke hat sich die kuriose Bekleidung von Studenten und Absolventen der Frankfurter Europa-Universität Viadrina ausgeborgt und sich von der Badebegeisterung der jungen Leute anstecken lassen.
Die Mitstreiter des Institutes für angewandte Geschichte an der Viadrina, die sich mit Historie und Gegenwart der Oderregion befassen, wollen das Baden in der Oder wieder salonfähig machen. Dazu haben sie an den kleinen Sandstrand der Frankfurter Oderinsel Ziegenwerder eingeladen. Offiziell gebadet werden durfte in dem deutsch-polnischen Grenzfluss seit Mitte der 1950er Jahre nicht mehr. „Aus hygienischen Gründen“, lautete damals die amtliche Begründung. Der 866 Kilometer lange Strom war zunehmend verschmutzt, weil Anrainerstaaten wie die DDR und Polen Industrieabfälle einleiteten. Zudem gewann die Oder auch als Grenze zwischen beiden Staaten immer mehr an Bedeutung und war stark bewacht.
„Gebadet wurde trotzdem weiter – man durfte sich von den Grenzern nur nicht erwischen lassen“, erinnert sich der Frankfurter Horst Krause, der nach eigenen Angaben mit seinen Kindern häufig vom Ziegenwerder aus in die Oder stieg. Als der heute 74-Jährige selbst noch ein Junge war, hingen er und seine Freunde sich heimlich mit Seilen an Schleppkähne. Sie ließen sich mehrere Kilometer stromaufwärts ziehen, um sich anschließend von der starken Strömung wieder hinabtreiben zu lassen. Noch gut kann sich Krause an die Badeanstalten auf der Insel Ziegenwerder erinnern. „Da hinten standen die Umkleidekabinen, daneben war das Kinderplanschbecken“, zeigt er ins grüne Inseldickicht.
Umkleidekabinen gibt es heute nicht mehr. Auch die Steganlagen, die die Badebereiche am Ufer begrenzten, sind längst verschwunden. Wer mitbaden will, muss sich im Gebüsch neben dem Strand umziehen.
Derzeit führt die Oder allerdings Hochwasser und hat vom einstigen Badestrand nur einen schmalen Streifen übriggelassen. Bei strahlendem Sonnenschein tut das der Badefreude offenbar keinen Abbruch. Immer mehr Schaulustige scharen sich um die im Wasser Planschenden, nehmen auf einem der Liegestühle unter Sonnenschirmen Platz, lassen sich zu einem kühlen Bier und Gegrilltem einladen.
So mancher alte Frankfurter schaut jedoch etwas skeptisch auf das Spektakel. „Die Oder ist nicht ohne, hat eine ziemliche Strömung, Untiefen und gefährliche Strudel“, sagt der 84-jährige Hans-Hellmuth Bester. Wer kein guter Schwimmer ist, sollte sich ohne Begleitung nicht in die Fluten wagen. „Schon gar nicht sollte man versuchen, ans andere Ufer zu schwimmen“, warnt der frühere Rettungsschwimmer.
Tatsächlich ist der häufig als tückisch beschriebene Fluss schon manchem zum Verhängnis geworden. Prominentestes Opfer war wohl der Herzog Leopold von Braunschweig. Er ertrank während des Frühjahrshochwassers von 1785 in den Oderfluten.
Grenzbehörden und Feuerwehr mussten auch später immer wieder Wasserleichen bergen: Unachtsame Angler, die hineinstürzten und von der Strömung mitgerissen wurden, Flüchtlinge, die nach der Wende vergeblich versuchten, die damalige Außengrenze der Europäischen Union schwimmend und unbemerkt zu überwinden. Jüngstes Opfer ist ein ukrainischer Viadrina-Student, der im Frühjahr 2009 nach einem Discobesuch verschwand und Wochen später am Oderufer angespült wurde.
Den Badenden an der studentischen Oderstrandbar droht nach Angaben von Projektleiter und Kulturwissenschaftler Stephan Felsberg hingegen keine Gefahr, solange sie zwischen den vom Inselufer abgehenden Buhnen bleiben, die die starke Strömung bremsen. „So ein Fluss hat ja immer auch eine verbindende Funktion. Die aber wird in den angrenzenden Orten entlang der Oder als solche kaum wahrgenommen“, sagt Felsberg. Deswegen wollen die Bade-Initiatoren der Europa-Universität seinen Angaben zufolge mit der Oderstrandbar dafür einen Anstoß geben. Zumal eine Studie von Öko-Test belege, dass das Baden in Flüssen derzeit eine Renaissance erlebt, ergänzt der Viadrina-Absolvent.
Zwar ist die Oder noch immer ein Grenzfluss. Doch seit dem Beitritt Polens zum Schengener Abkommen Ende 2007 gibt es keine Kontrollen mehr. Der Fluss ist für jedermann nutzbar, allerdings steckt der Wassertourismus auf der Oder noch in den Kinderschuhen.
„So eine Badeanstalt wäre immerhin ein Anfang“, stimmen Felsberg und Krause überein. Bernd Kluge
Bernd Kluge
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