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Homepage: Alte Geschichte bei Professor Cato

Personifizierter Unterricht über römische Kriegshetzer, französische Revolutionäre und deutsche Anarchisten. Von Josef Drabek

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Josef Drabek, 1939 in Böhmen geboren, studierte von 1958 bis 1962 an der Pädagogischen Hochschule Potsdam, dem Vorläufer der heutigen Potsdamer Universität. Derzeit schreibt Drabek seine Erinnerungen „Von Böhmen nach Brandenburg. Wege zwischen Weltkrieg und Wende“, deren erster und zweiter Teil vorliegt. Der dritte Teil zu Brandenburg beginnt mit der Studienzeit. Auszüge daraus erscheinen in den PNN.

Im Unterschied zur Germanistik gestaltete sich das Geschichtsstudium systematischer, auch wenn einzelne Epochen parallel behandelt wurden. Am Anfang gab es vom Institutsdirektor Professor Walter Eckermann die erwartete Einführung, die uns allerdings weniger interessierte als seine zum spärlichen grauen Haupthaar kontrastierenden buschigen schwarzen Augenbrauen, über deren mögliche Färbung die Meinung immer wieder auseinanderging. Danach hatten wir eigentlich Ausführungen zur Vor- und Frühgeschichte erwartet, die aber ebenso ausfielen wie das Althochdeutsche in der Sprachwissenschaft.

Entschädigung leistete die Alte Geschichte bei Professor Max Dieckhoff, der intern liebevoll „Mäxchen“ genannt wurde, den Weg zur Orangerie stets per pedes zurücklegte und in seinen Vorlesungen über das Römische Reich zu großer Form auflief. Bei der Behandlung der Punischen Kriege schlüpfte der kleine Mittsechziger förmlich in die Rolle des Politikers Cato, der zu einer seiner kriegshetzerischen Reden vor dem Senat wie „ein Gauner und Narr“ genüsslich Feigen gekaut hat, verbunden mit der Bemerkung, dass solche in Karthago wüchsen und man sie nur holen müsse. Und auch diese beendete er mit dem berüchtigten Satz „Im Übrigen meine ich, dass Karthago zerstört werden muss“, was in der Folge tatsächlich geschah. Nach dieser bühnenreifen Vorstellung bot „Mäxchen“ eine gelungene Aktualisierung durch das weltweit bekannt gewordene Zitat Bertolt Brechts aus dem Offenen Brief an die deutschen Künstler und Schriftsteller von 1951, dass das „große Karthago“ nach dem dritten Krieg „nicht mehr auffindbar“ war. Angesichts eines möglichen atomaren Weltkrieges ging uns diese Mahnung des Dichters unter die Haut.

Lebendig personifizierte Geschichtsdarstellung gab es auch bei Dr. Hans Henseke, einem gebürtigen Pommern, der 1954 nach Potsdam und später an die Hochschule gekommen war, wo er als Dozent für Allgemeine Geschichte wirkte. Dabei kamen ihm seine ausgezeichneten Fremdsprachenkenntnisse zugute: vor allem Englisch und fast muttersprachliches Französisch durch vierjährige Kriegsgefangenschaft auf Korsika, die es ihm ermöglichten, vielfältige Quellen zu erschließen. So zitierte er mit gepresster pommerscher Akzentuierung aus der einflussreichen Flugschrift des Wortführers der Französischen bürgerlichen Revolution, Abbé Sieyès, jene Sätze, die der Abgeordnete vor der Ständeversammlung und den Generalständen gebetsmühlenartig wiederholte: „Was ist der Dritte Stand? Nichts. Was will er werden? Alles!“ Davon ausgehend ließ er wichtige Revolutionsereignisse wie in einem Historienfilm vorüberziehen, vom Sturm auf die Bastille bis zur Errichtung der Republik, an deren Entwicklung er zeigte, wie die hehren Prinzipien von 1789 „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ zu Worthülsen verkümmerten.

Der exzellente Fachmann und spätere Rektor stellte hohe Ansprüche an jeden Studenten und vor jeder Prüfung die Frage „Was haben Sie gelesen?“. Als eine Studentin daraufhin nichts Wesentliches antworten konnte, hieß es: „Nun, Fräulein J., dann sehen wir uns in vier Wochen wieder.“ Derartige Sätze wurden ebenso geflügelt wie die des Abbé Sieyès.

Im Komplex „Probleme der Geschichte des deutschen Volkes 1918–1945“ war es Dr. Kurt Finker, der historische Persönlichkeiten lebendig werden ließ. So gefielen uns bei der Behandlung der revolutionären Nachkriegskrise die Schilderungen über Max Hölz, der als Führer bewaffneter Abteilungen wegen seines Mutes bewundert und wegen anarchistischer Aktionen kritisiert wurde. So hat auch er im Stile eines Robin Hood bei Reichen geraubt und die Beute unter Armen verteilt. Besonders beeindruckte, dass der polizeilich Gesuchte mit einer Granate in jeder Hand auf einem Rathaus erschien und den erschrockenen Beamten sagte, dass sie ihn festnehmen könnten, was diese tunlichst unterließen. Nach späterer Gefangennahme, Verurteilung und Freilassung ist er in der Sowjetunion ertrunken – unklar ob Unfall, Suizid oder Stalinscher Säuberungsmord.

Bei der Thematik des antifaschistischen Widerstandskampfes blieb der Dozent seiner personifizierten Darstellung ebenfalls treu, auch und gerade bei den Verschwörern um Oberst Stauffenberg. Das ist umso verdienstvoller, als in der DDR-Geschichtsschreibung die militärische Opposition wegen ihres widersprüchlichen Charakters und späten Einsetzens wenig gewürdigt wurde. Er setzte sie eindrucksvoll ins Licht und umfassend mit seinem vielbeachteten Buch „Stauffenberg und der 20. Juli 1944“, das aber interessanterweise nicht in einem SED-Verlag, sondern „nur“ dem der Blockpartei CDU gehörenden Union Verlag Berlin erschien.

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