Homepage: Alte Traditionen und neue Impulse
Das Jahr 2013 brachte der Potsdamer Wissenschaft die Jüdische Theologie, eine Satellitenmission, bundesweite Schlagzeilen und schlechte Neuigkeiten vom Patienten Erde
Stand:
Das herausragende Ereignis in der Potsdamer Wissenschaft im abgelaufenen Jahr braucht man nicht lange zu suchen. Die institutionelle Verankerung der Jüdischen Theologie im November an der Universität Potsdam war ein einzigartiger Schritt – sowohl für die Hochschule als auch für Deutschland. Erstmals überhaupt in der deutschen Geschichte wurde damit die jüdische Theologie den christlichen Theologien gleichgestellt. Liberale und konservative Rabbiner werden fortan in Potsdam ausgebildet, parallel dazu steht die neue „School of Jewish Theology“ auch nicht-jüdischen Studierenden und Atheisten offen. Eingebettet wird der Schwerpunkt in eine vergleichend arbeitende Religionswissenschaft. Hier setzt Potsdam neue Impulse, ein sehr offenes Verständnis für Religion ist der Plan.
Angefangen hatte das Jahr mit zwei neuen Gesichtern auf dem Potsdamer Hochschulparcours: Susanne Stürmer wurde zur Präsidentin der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) gewählt, Eckehard Binas übernahm die Führung der Fachhochschule Potsdam (FH). Das Jahr war gerade zehn Tage alt, da wählte der Senat der HFF die vorherige UFA-Geschäftsführerin Susanne Stürmer zur neuen Präsidentin – ohne Gegenstimmen. Zum Start des Wintersemesters im Oktober trat sie ihr Amt offiziell an. Die Medienmanagerin schloss Umstrukturierungen an der HFF aus: Bei aller Veränderungslust gelte es, die eindrucksvolle Tradition der Potsdamer HFF weiterzuleben. Längerfristig soll die Hochschule Deutschlands erste Filmuniversität werden. Bereits im Vorjahr hatte die FH Potsdam Eckehard Binas zu ihrem neuen Präsidenten gewählt. Am 17. Januar trat er sein Amt an, mit dem Ziel, Konsens und Mitwirkung an der FH zu stärken. Gemeinsamkeit und Füreinander denkt Binas auch im gesellschaftlichen Sinn. Hochschulen sieht er als Denkfabriken und Sinnesorgane der Gesellschaft.
Mit dem neuen Jahr begann auch ein Ausnahmewinter, der sich bis Ende März hinzog. Märzwinter nennen die Meteorologen das Phänomen, das so gar nicht zum landläufigen Bild des Klimawandels passen wollte. Doch Polarforscher der Potsdamer Zweigstelle des Alfred-Wegener-Instituts konnten die Verbindung zur globale Erderwärmung herstellen. Durch das abtauende Arktiseis verändere sich die Luftzirkulation über dem Nordatlantik. Auf Jahre, in denen das arktische Eis im Spätsommer stark reduziert war, folgt demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Winter, in dem vornehmlich kalte Arktisluft nach Mitteleuropa strömt. Man darf gespannt bleiben, wie dieser Winter wird: Nach dem Rekordminimum von 2012 gab es in diesem Sommer wieder mehr Eis in der Arktis. Das lässt zumindest auf einen etwas wärmeren März 2014 hoffen.
Auf längeren Zeitskalen betrachtet war allerdings auch in diesem Jahr die Eisausdehnung in der Arktis geringer als in allen Jahren vor 2007. „Man sieht hier einen Abwärtstrend, überlagert von Schwankungen“, erklärte der Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Die Entwicklung decke sich mit dem globalen Temperaturanstieg, der ebenfalls von Schwankungen überlagert sei. Auch für den seit 1998 verlangsamten Anstieg der globalen Temperatur lieferten die PIK-Forscher in diesem Jahr eine Erklärung. Die Erwärmung der Erde läuft nicht linear ab, in den vergangenen Jahren hätten tiefere Schichten der Ozeane verstärkt Wärme aus der Atmosphäre aufgenommen. Der nächste Schub der pazifischen Meeresströmung El Niño werde die Temperaturen hingegen wieder schneller ansteigen lassen, so die Forscher. „Es gibt keinen Grund, die globale Erwärmung für beendet zu erklären“, sagte PIK-Chef Hans Joachim Schellnhuber während der internationalen Tagung „Impacts World 2013“, zu der im Mai über 300 Wissenschaftler aus aller Welt im Potsdamer Dorint-Hotel weilten. Für die Tagung erhielt das PIK im November dann einen der Potsdamer Kongresspreise 2013.
Wetterextreme wie der verheerende Taifun „Haiyan“ auf den Philippinen im November und das erneute Jahrhunderthochwasser in Deutschland im Juni stehen für Klimaforscher in direktem Zusammenhang mit dem Klimawandel. Das Hochwasser, das auch in Teilen Brandenburgs enorme Schäden mit sich brachte, stuften Potsdamer Experten sehr schnell als äußerst gefährlich ein: Als das ganze Ausmaß der Naturkatastrophe noch nicht absehbar war, kamen Forscher des Deutschen Geoforschungszentrums Potsdam (GFZ) bereits zu dem Schluss, dass das aktuelle Ereignis das Augusthochwasser von 2002 übertreffe. Der Hydrologe Axel Bronstert von der Universität Potsdam bekräftigte dann auch die Bedeutung von Hochwasserschutzmaßnahmen wie etwa Überflutungsflächen. Doch der Experte betonte auch, dass es vollständige Sicherheit vor Hochwasser nicht geben kann.
In einem ganz anderen Forschungsfeld sorgte der Potsdamer Historiker Manfred Görtemaker im Mai dieses Jahres für Aufsehen. Erste Ergebnisse der von ihm geleiteten Kommission zur NS-Belastung im Bundesjustizministerium zeigten, dass viele Richter, die im Namen der Nationalsozialisten Tausende Todesurteile verhängt hatten, wie auch NS-Staatsanwälte in der jungen Bundesrepublik wieder in wichtige Positionen gelangt waren. Ende der 60er-Jahre noch seien fast alle Abteilungsleiter des Ministeriums ehemalige Nazis gewesen. Mit dem Abschlussbericht wird in zwei bis vier Jahren gerechnet.
Praktisch vor der Zeit begab sich das Hasso-Plattner-Institut im Juni mit der Potsdamer Konferenz für Nationale Cyber-Sicherheit in die Debatten der Post-Snowden-Ära. Als noch niemand das ganze Ausmaß der Aktivitäten der NSA erahnte, wurden an dem Institut für Softwaresystemtechnik der Umgang mit Internet-Kriminalität und -Spionage und andere Bedrohungsszenarien aus der digitalen Welt diskutiert. Dass man das Internet auch zu sinnstiftenderen Dingen nutzen kann, zeigte ebenfalls das HPI mit einer Rekordmeldung zu ihrem weltweit frei zugänglichen Online-Kurs „openHPI“. Bis Jahresende waren hier fast 60 000 Teilnehmer aus 114 Ländern angemeldet. Sie erhalten kostenfrei gebündeltes IT-Wissen aus erster Hand, auch HPI-Stifter und SAP-Mitbegründer Hasso Plattner gibt hier Kurse. Die digitale Lernform der Massive Open Online Courses (MOOC) erlebte in diesem Jahr in Potsdam so etwas wie eine Gründerzeit. Anfang November schoss der MOOC „The Future of Storytelling“ der FH Potsdam mit über 70 000 Teilnehmern deutschlandweit an die Spitze der Bewegung.
Andererseits scheint die Lust, die Welt nicht nur virtuell, sondern auch sinnlich zu begreifen, ungebrochen. Die Veranstaltung „Tausend Fragen – eine Stadt“ zeigte, dass Vorträge, Experimente und Ausstellungen rund um Potsdams Wissenschaft ein Publikum haben: Rund 2000 Besucher zog der neue „Tag der Wissenschaft“ im Juni in Potsdams Innenstadt, in der Nacht dann erklommen weitere Wissenshungrige zur „Langen Nacht der Wissenschaft“ den Telegrafenberg.
Im Juli gelangte Potsdam bundesweit in die Schlagzeilen. Allerdings nicht mit einem bahnbrechenden Forschungsergebnis, sondern mit einer eher eigenwilligen Angelegenheit. Der Senat der Universität hatte entschieden, dass in seiner Geschäftsordnung fortan nur noch die weibliche Form zu verwenden ist– für beide Geschlechter. „Dozentin“ oder „Mitarbeiterinnen“ bezeichnet in dem Schriftstück nun Frauen und Männer. Das sogenannte generische Femininum war als Vereinfachung gedacht, erregte aber im Sommerloch die Gemüter: Eine Flut bösartiger Kommentare ergoss sich über die Uni. Die beteuerte, dass die Regelung nur die Senatsordnung betrifft, die Anredeformen „Herr Professor“ bzw. „Frau Professorin“ blieben erhalten.
Im August gab es dann bedenkliche Neuigkeiten vom Patienten Erde. Nicht nur die wärmeren Winde des Klimawandels machen dem arktischen Eis zu schaffen – es taut auch von unten auf. Potsdamer Geoforscher hatten herausgefunden, dass unter Grönland ein Hitzestrom aus dem Erdinneren den mächtigen Eisschild der Insel verflüssigt. So rutschen die Eismassen schneller in den Ozean. Nicht unwichtig, denn das tauende Festlandeis ist es, das den Meeresspiegel weltweit bedrohlich ansteigen lässt.
Auch der Herbst machte nicht wirklich Hoffnung. Eine internationale Tagung des Potsdamer Nachhaltigkeitsinstituts IASS führte uns vor Augen, dass bei dem heiklen Thema Bodenverlust seit dem Vorjahr nicht viel passiert ist. Immer mehr fruchtbare Erde wird zunichte gemacht, die Politik schaut zu. Auch der UN-Klimagipfel Anfang November in Warschau brachte die Welt nur in sehr kleinen Schritten voran.
Geradezu ein Befreiungsschlag war vor diesem Hintergrund der Start der GFZ-Satellitenmission Swarm am 22. November. Hier kam man in großen Schritten voran. Die drei Satelliten liefern nun eifrig Daten vom Erdmagnetfeld. Die Stärke des Magnetfeldes hat in jüngerer Vergangenheit stark nachgelassen. Die Forscher rätseln noch, warum. Eine Umpolung könnte bevorstehen, mit unbekannten Auswirkungen auf die menschliche Zivilisation. Doch nun halten uns die drei Swarm-Brüder auf dem Laufenden. Wir werden frühzeitig gewarnt sein.
Noch Größeres darf man schließlich von der Satellitenmission eLisa erhoffen, für die das Potsdamer Albert-Einstein-Institut von der Europäischen Raumfahrtagentur ESA grünes Licht bekommen hat. Schon 2015 soll eine Testmission starten. Die Forscher wollen mit dem Großprojekt Gravitationswellen messen. Sollte es ihnen gelingen, könnte das einen Nobelpreis einbringen.
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