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Der Physiker Bernhard F. Schutz über die ausstehende Messung von Gravitationswellen, ein neues Fenster ins All und 19 Jahre Arbeit am Albert-Einstein-Institut
Stand:
Herr Schutz, das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Golm ist heute zusammen mit der Außenstelle in Hannover ein Apparat mit rund 300 Mitarbeitern. 1995 haben Sie das Institut zusammen mit Jürgen Ehlers gegründet. Wie lief das damals ab?
Wir haben ganz klein angefangen, mit rund zehn Leuten, ein paar Wissenschaftler, die Bibliothekarin, die Verwaltung, und zwei Sekretärinnen. Wir waren damals noch nicht in Golm, sondern in einem Gebäude am Schlaatzweg in der Teltower Vorstadt untergebracht. Am ersten Tag haben wir uns in einem Zimmer getroffen, viel Tee und Kaffee getrunken und unsere Pläne gemacht. Es war ein sehr kleiner, freundlicher Kreis.
Konnten Sie damals schon ahnen, was aus dem Institut einmal wird, das heute den Namen Albert Einsteins trägt und weltweit ein großes Renommee hat?
Gar nicht. Das war nicht absehbar. Das hatten wir auch nicht geplant. Wichtig war mir damals schon, dass wir den Geo-600-Detektor in Hannover zur Messung von Gravitationswellen an unser Institut anbinden würden. Dass wir dort aber ein wichtiges Teilinstitut eröffnen würden, war nicht absehbar.
Woher kam Ihre Motivation, ein so mächtiges und weltweit bedeutendes Institut aufzubauen?
Die ursprüngliche Vision hatte Jürgen Ehlers. Im Bereich Gravitationswellen habe ich das alles zusammen mit meinem Kollegen Karsten Danzmann, der heute das Institut in Hannover leitet, geschafft. Es war die richtige Zeit für diese Art von Grundlagenforschung und wir waren am richtigen Ort. Den Standort Potsdam hatte die Max-Planck-Gesellschaft vorgeschlagen. Man sah hier ein großes Potenzial für diesen Forschungszweig.
Sie haben seit 1995 entscheidend dazu beigetragen, die Forschung zur Relativitätstheorie in Deutschland nach 1945 wieder zu beleben. Welche Rolle spielte dabei der Ort für Sie?
Für mich war es eine wunderbare Gelegenheit, hier in Potsdam und Berlin zur Allgemeinen Relativitätstheorie zu forschen, hier wo Albert Einstein diese Theorie zu Ende gebracht hat. Es war nicht einfach, das nach dem Krieg verwaiste Forschungsfeld wieder zu beleben. Andere Gebiete waren mittlerweile dominanter. Mein Hauptziel war dann aber die aktuelle Forschung. Die Max-Planck-Gesellschaft bot mir dazu eine viel umfangreichere Unterstützung als es in anderen Ländern möglich gewesen wäre. Also kam ich 1995 von der Cardiff University nach Potsdam.
Waren Ihnen Einsteins Fußspuren nicht etwas zu groß?
(Lacht). Nein, wirklich nicht. Unser Forschungsfeld war damals sehr lebendig. In den zehn Jahren vor meiner Promotion gab es in diesem Feld der Gravitationsforschung weltweit geradezu eine Blütezeit. Wir haben so viel verstanden, was Einstein noch nicht ahnen konnte. Wir hatten auch verstanden, dass seine Theorie wichtig für die Astronomie war. Und das haben wir dann in den folgenden Jahren bewiesen.
Wie sind Sie als junger Mensch auf die Idee gekommen, sich mit einer so komplizierten Materie wie der Gravitationsphysik zu beschäftigen?
Ich war etwa 15 Jahre alt, als ich in populärwissenschaftlichen Büchern etwas über Fragen der theoretischen Physik gelesen hatte. Ich fand das höchst interessant. Ich wusste, dass die Allgemeine Relativitätstheorie eine sehr komplizierte Sache ist, aber ich wusste auch, dass ich mich für die Physik begeistern konnte. Also entschied ich mich zu diesem Studium. Ohne allerdings zu wissen, dass ich jemals in diesem Forschungsfeld arbeiten würde.
Die Allgemeine Relativitätstheorie beschreibt die Wechselwirkung zwischen der Materie mit dem Raum und der Zeit. Die Schwerkraft ist dabei eine geometrische Eigenschaft der gekrümmten vierdimensionalen Raumzeit. Haben Sie das von Anfang an verstanden?
Nein. Nicht so tiefgehend, wie es für die Forschung nötig gewesen wäre. Aber ich hatte die ersten Konzepte von Einsteins Theorie der Schwerkraft verstanden, dass es aufgrund dieser Annahme eine Zeitverzögerung gibt und dass nichts schneller sein kann als das Licht. Wie das allerdings mit anderen Theorien der Physik zusammenpasst, war eine andere Frage. Heute habe ich ein tieferes Verständnis dafür.
Was hat Sie daran fasziniert?
Die Relativitätstheorie beschreibt unsere Welt auf eine Weise, die unabhängig ist von dem spezifischen Beobachter, der ein Experiment macht. Die Allgemeine Relativitätstheorie geht viel weiter als Einsteins Spezielle Theorie, weil sie in fast alle physikalischen Theorien passen muss – vor allem muss sich auch die Schwerkraft einfügen. Einstein war es gelungen, das Prinzip, dass nichts schneller sein kann als das Licht, in der Theorie der Schwerkraft unterzubringen. So wurden Schwarze Löcher ein wirklicher Teil unseres Universums. Um ihnen zu entkommen, müsste man schneller sein als das Licht – und das ist unmöglich. Diese Geschwindigkeitsgrenze hat zu dem revolutionären Konzept geführt.
Haben Sie Physik studiert, um auch ein wenig hinter den Vorhang der Schöpfung schauen zu können?
Ich wollte von Anfang an die Kräfte, die das Universum zusammenhalten, verstehen. Meine treibende Kraft ist bis heute die Neugierde.
Konnten Sie die in Potsdam befriedigen?
Durchaus. Wir verstehen nun viel mehr. Es liegen Welten zwischen unserem Kenntnisstand von 1995 und heute.
Einer Ihrer Schwerpunkte sind die Gravitationswellen, die Sie messen wollen. Was macht diese unsichtbaren Wellen, die das Universum permanent durchdringen, so wichtig?
Sie sind ein neues Fernster ins All. Stellen Sie sich vor, Sie gehen mit Ohrstöpseln durch einen Dschungel. Das kann sehr interessant sein, man sieht viele unbekannte Tiere und Pflanzen. Wenn man die Ohrstöpsel aber herausnimmt und den Dschungel hört, ist das noch einmal ein ganz neues Ereignis. Man hört zum Beispiel Affen oder Vögel, die man nicht sehen kann. Ähnlich verhält es sich mit unserer Sicht auf das Universum. Wir sind begeistert, was wir mit Augen, Teleskopen und Röntgenastronomie sehen können. Aber es gibt eben noch andere bislang unsichtbare Informationen. Die Gravitationswellen, die von Dingen ausgestrahlt werden, die wir nicht sehen können, etwa von den Schwarzen Löchern.
Wird das Universum mithilfe dieser Wellen ganz anders aussehen, als wir es kennen?
Das kann sein. Wir wissen es nicht. Wir verstehen, dass einige Dinge vorhanden sein müssen. Aber die Dinge, die wir noch nie gesehen haben, können vielerlei Form in Raum und Zeit haben. Ich bin sehr gespannt, was wir dabei entdecken werden.
Bricht damit ein völlig neues Zeitalter der Forschung an?
Das erwarte ich. Das war in der Physik schon immer so. Die Röntgenastronomie zum Beispiel hat unser Verständnis für das Universum völlig verändert. Das wird durch die Detektion der Gravitationswellen ähnlich sein.
Wie nah ist man mittlerweile dran an der Detektion dieser Wellen?
Sehr nah. Ich rechne in etwa drei Jahren mit den ersten Beobachtungen von Gravitationswellen von Schwarzen Löchern, vielleicht auch schon früher. Zuerst werden wir Dinge beobachten, die wir erwarten. Interessant werden dann die unerwarteten Beobachtungen. Der indirekte Nachweis wurde vor mehr als 30 Jahren erbracht. Nun geht es um die direkte Messung der Wellen, mit denen wir das Universum dann beobachten wollen. Der Nachweis der Gravitationswellen würde auch den letzten Teil von Einsteins Relativitätstheorie bestätigen, der noch aussteht. Es kann natürlich auch sein, dass wir etwas finden, das nicht zu Einsteins Theorie passt.
Für den endgültigen Beweis, dass Einsteins Theorie wirklich alles beschreibt, würde es den Nobelpreis geben.
Vielleicht auch schon für den direkten Nachweis der Gravitationswellen. Doch man muss wissen, dass es sehr viele Wissenschaftler sind, die zurzeit an dieser Frage arbeiten – aber beim Nobelpreis können nur maximal drei ausgezeichnet werden.
Sie stammen aus den USA. Ihr Name klingt aber deutsch. Hat Ihre Familie hier Wurzeln?
Mein Urgroßvater stammte aus dem Sudetenland. Er war Österreicher, sein Name war Schütz. Er wanderte aus wirtschaftlichen Gründen in die USA aus. Dort wurde aus Schütz dann Schutz.
Hatte er etwas mit Physik zu tun?
Nein, er war Handwerker und hat in Seidenmühlen gearbeitet. Aber er soll sehr klug gewesen sein. Meine deutschen Wurzeln haben mich immer interessiert, deshalb habe ich in der Schule auch Deutsch gelernt. Ich hatte auch Vorfahren in der Schweiz und in Wuppertal.
Werden Sie Potsdam erhalten bleiben?
Ab 1. September werde ich wieder an der Uni in Cardiff arbeiten, von wo ich 1995 nach Potsdam gekommen war. Es wird dort um „Big Data“ gehen. Ich werde aber auch am Albert-Einstein-Institut weiter forschen und zwischen Cardiff und Potsdam pendeln.
Das Gespräch führte Jan Kixmüller
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