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Landeshauptstadt: Am Bug der Erde durchs All

Der Kleinplanet „Rendtel“ zwischen Mars und Jupiter ist nach Jürgen Rendtel aus Marquardt benannt

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Der Kleinplanet „Rendtel“ zwischen Mars und Jupiter ist nach Jürgen Rendtel aus Marquardt benannt Amérigo Vespucci aus dem Florenz des 15. Jahrhunderts und Jürgen Rendtel aus dem Marquardt von heute haben etwas gemeinsam: Nach beiden sind große Entdeckungen benannt worden, ohne das sie an diesen direkt beteiligt waren. Amerika wurde bekanntlich von Christoph Columbus entdeckt. Amérigo war nur der erste, der die Idee hatte, es könnte sich um einen neuen Kontinent handeln. So epochal ist die nach Jürgen Rendtel benannte Entdeckung zwar nicht, klein ist sie deswegen aber keineswegs. Am 12.September 1999 richtete der Potsdamer Amateur-Astronom Andrè Knöfel wieder einmal das Fernrohr einer erzgebirgischen Volkssternwarte in den Nachthimmel. Zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter entdeckte er einen Kleinplaneten und nannte ihn „Rendtel“ – André Knöfel und Jürgen Rendtel sind seit Jahren befreundet und im Potsdamer Arbeitskreis „Meteore e.V.“ aktiv. Anders als bei Kometen können Kleinplaneten nicht nach ihren Entdeckern benannt werden, wohl aber können diese einen Namen vorschlagen. Der „Rendtel“ besteht nach Auskunft seines Namensgebers aus Gestein der Dichte 3,4. „Leider kein Eisenobjekt“, so Rendtel scherzhaft, „da lässt sich bergbaumäßig nichts rausholen“. Eine Kugelform vorausgesetzt, besitzt der Koloss eine Masse von zwei Millionen Tonnen bei 500 Kubikkilometer Volumen, rechnet Rendtel mit dem Taschenrechner vor. Er fühle sich ein wenig „gebauchpinselt“, dass ein Himmelskörper bereits zu seinen Lebzeiten seinen Namen erhielt. Der Mond heißt in seiner Zunft deshalb „Astronomen-Friedhof“, weil dessen Krater nur nach längst verstorbenen Sternenguckern benannt wurden. Neben dem „Rendtel“ fliegt noch ein weiterer Gesteinsbrocken durchs All, der den Namen eines Potsdamers trägt. Andrè Knöfel gab einem weiteren von ihm entdeckten Asteroiden, wie Kleinplaneten auch genannt werden, den Namen des Gründers des Planetariums im Neuen Garten, Arnold Zenkert. Laut Jürgen Rendtel rasen weiterhin noch ein „Potsdam“ und ein „Babelsberg“ in weiten Bahnen um die Sonne. Als Junge übernachtete Jürgen Rendtel auf dem Boot seiner Eltern auf märkischen Gewässern. Der bestirnte Himmel über ihm erweckte in ihm die Faszination für das All. Das 1968 eröffnete Planetarium im Neuen Garten, aber auch die Schulsternwarte in der Bürgel-Schule und die Volkssternwarte am Hubertusdamm konkretisierten dieses Interesse. Bereits 1972 beobachtete er mit einem Schulfreund den Nachthimmel und zählte über 100 Sternschnuppen. Ab 1974 zog eine stets größer werdende Gruppe Gleichgesinnter, zu der auch der heutige Asteroiden-Entdecker André Knöfel gehörte, alljährlich in ein Camp bei Schmergow und beobachtete Meteore. In einer Nacht im Jahr 1978 ereignete sich dann auch die Sternstunde für „Meteore e.V.“. In der engen Kuppel am Hubertusdamm konnten nur wenige Himmelsbegeisterte gleichzeitig am Fernrohr stehen, viele andere mussten draußen warten. Diese sahen mit blosem Auge zahlreiche Sternschnuppen, eben Meteore, danieder gehen. Jürgen Rendtel dachte sich nun, „das müsste man mal systematisch festhalten“ und gründete den Arbeitskreis „Meteore e.V.“. 1998 und 2002, als die Erde die Flugbahn des Kometen Temple-Tuttle kreuzte, machten die Vereinsmitglieder sogar Expeditionen in die Mongolei. Zu jener Zeit gingen die abgebröckelten Teile des Kometen als Sternschnuppenregen, den so genannten „Leoniden“ (vom Sternbild des Löwen kommend) zur Erde. Heute sind es auch die Daten des „Meteore e.V.“, die die NASA schon mal den Start eines Shuttles verschieben lässt, weil die Schnuppenzähler eine Meteoriten-Häufigkeit voraussagen. Über hundert Stunden im Jahr beobachtet Rendtel, der hauptberuflich Mitarbeiter des Astrophysikalischen Instituts (AIP) ist, in seiner Freizeit Sternschnuppen. „Meine Frau macht mit“, sagt er lächelnd, daher sei sein Hobby auch „nicht familienbelastend“. Morgens, zwei bis drei Stunden vor Sonnenaufgang, steht er auf und richtet von Marquardt aus seinen Blick gen Himmel. Um sechs Uhr in der Früh ist Mitteleuropa dort, wo auf der Erde vorn ist. Rendtel nimmt eine „wirklich erhabene Position“ ein: Wie in der berühmten Titanic-Szene mit Leonardo di Caprio und Kate Winslett steht Rendtel dann am Bug der mit 30 Kilometer pro Sekunde um die Sonne fliegenden Erde. Wenn sie in diesem Moment eine Kometenbahn kreuzt, dringen bis zu 2000 Meteore pro Stunden frontal vorn, also direkt über Rendtel, in die Erdatmosphäre ein und verglühen als Sternschnuppen. „Das ist, als wenn eine Kanonenkugel durch einen Mückenschwarm fliegt“, erklärt der Astronom. Das Bild, das er sieht, ähnelt der Sicht eines Autofahrers im Winter, dem im Scheinwerferlicht die Schneeflocken entgegenkommen. Aus der Flugrichtungen der Erde kommend, sprühen nach allen Richtungen Sternschnuppen weg. Das sind Momente, die das zeitaufwändige Hobby lohnen. Insbesondere dann, wenn der Verein den Meteoritenschauer auf eine halbe Stunde genau vorausberechnet hat. Eine besondere Ehre bleibt freilich die Namensgebung für den Kleinplaneten, der für den Marquardter ein Stück von der Ewigkeit bedeutet. Auf einer relativ stabilen Bahn dahinfliegend, wird „Rendtel“ wohl noch in Millionen Jahren den Namen eines Mannes tragen, der es hauptsächlich auf schnell verglühende Sternschnuppen abgesehen hat.

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