Landeshauptstadt: Am Pinsel mit preußischer Disziplin
Hans-Joachim Zwirner hat in einem Jahr die Herrscher, ihre Frauen und Schlösser gemalt
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Tief über eine Schublade gebeugt, kramt Hans-Joachim Zwirner nach dem, was sein Rentnerleben auf den Kopf gestellt hat. „Irgendwo muss der doch sein“, brabbelt der 77-Jährige in seinen Bart. „So ein Plastekasten“, sagt Zwirner und schiebt die Schublade zurück in die überfüllte Schrankwand. Bilder wackeln. Eng aneinander geschmiegt warten hier Dutzende von ihnen auf einen Betrachter. Doch es bleibt bei einem flüchtigen Blick auf ihre farbbeklecksten Schenkel. Zwirner zerrt schon am nächsten Kasten, lässt seine Hände hineingleiten, schnalzt mit der Zunge. „Hier“, ruft er und grinst. Lachfältchen runzeln sich um seine runde Nase. „Das ist der Wassermalfarbkasten meiner Kinder.“ Damit fing alles an.
„Plötzlich hatte ich keine Aufgabe mehr“, erzählt Hans-Joachim Zwirner. Knapp 25 Jahre lang hat er die Geschäfte im Hans Otto Theater geführt, war dort von 1964 bis 1989 stellvertretender Intendant und Verwaltungsdirektor. Nach dem Mauerfall brachte der studierte Finanzwirtschaftler aus Breslau Buchhaltern aus den neuen Bundesländern die Marktwirtschaft bei. 1997 ging er endgültig in Ruhestand. Während seine Frau Gisela weiter als Lehrerin arbeitete, kümmerte sich Zwirner um den Haushalt. Er putzte, räumte auf und kramte in den Schränken umher. „Da hab ich die Farben entdeckt und dachte, das musste machen.“ Seit dem malt der 77-Jährige und ist nicht zu stoppen.
Über 350 Bilder sind entstanden, Landschaftsbilder, Porträts, Architektur. Zwirners Wohnung ist voll davon. Er hat sie im Schrank verstaut oder im Flur an Angelsehne festgebunden. Sie hängen über der Badezimmertür, der Couch, dem Bett. Viele nicht größer als ein Blatt Papier. Sie sind überall, bedecken die Wände seiner Hochhauswohnung – und nicht nur dort. 58 seiner neuesten Werke stellt Zwirner derzeit im Bürgerhaus am Stern aus. Ein Jahr seines Lebens hat sich der Maler der preußischen Geschichte, deren Herrschern, Gemahlinnen und ihrer Baukunst gewidmet. Rechtzeitig zum 300. Friedrich-Geburtstag sind die Ölgemälde fertig geworden.
„Ich bin kein Maler, ich bin Hobby-Maler“, sagt Zwirner und läuft zwei Schritte durch sein Arbeitszimmer, dem Stuhl entgegen. Die Bänder seiner um den Hals geworfenen Arbeitsschürze baumeln lose neben seinen Knien. Erdbeeren sind auf den Stoff gedruckt. Bedächtig setzt er sich. Seit einem Oberschenkelbruch ist er nicht mehr der fitteste. Den Malkasten legt er auf den Tisch, neben eine mit Pinseln vollgestopfte Kaffeedose. „Morgens um 9 Uhr geht das Malen los“, erzählt Zwirner. Wer malen wolle, müsse zielstrebig sein. So wie die alten Preußen. „Später gibt’s eine Mittagspause, Fernsehen läuft bei mir nicht. Hab ich doch gar keine Zeit für.“ Es ist eine Sucht.
Ein Jahr und der Rentner hatte die Könige und Kaiser im Kasten. Zum Beispiel Friedrich II. und all die Bauwerke, die er der Stadt hinterlassen hat, wie das Schloss Sanssouci, das Nauener Tor oder die Alte Wache. Auch Friedrich Wilhelm II., sein Marmorpalais und Friedrich Wilhelm III., ein Porträt seiner Gemahlin und ein Bild der Russischen Kolonie sind im Bürgerhaus ausgestellt und können zu den alltäglichen Öffnungszeiten besichtigt werden – und nicht nur die. Als Zwirner all seine Preußen-Bilder aufgehängt hatte, blieben einige Wände kahl. So konnte es nicht bleiben. „Da habe ich ein paar Lanzarote-Bilder dazugehängt“, sagt Zwirner. Der Potsdamer ist eng mit der von Vulkanausbrüchen geprägten Kanareninsel verbunden. Als Zwirner – gerade in Rente – den Malkasten aus dem Schrank gekramt hatte, nahm er sich als erstes ein Foto aus dem gemeinsamen Lanzarote-Urlaub mit seiner Frau als Zeichenvorlage. Aus einem Bild wurden über 20, schon ein Vierteljahr später stellte Zwirner seine Werke zum ersten Mal in Potsdam aus. Den Pinsel legte er nie wieder zur Seite, auch nicht nachdem seine Frau Gisela starb oder seine neue Lebensgefährtin Sibille einzog. Auf Lanzarote-Zeichnungen folgten Bilder von Rom, Venedig, dem Mont Blanc, der Donau und auch ein Porträt des Barockkünstlers Rembrandt. Der niederländische Meister sei sein großes Vorbild, sagt Zwirner. „Ich bin Photorealist.“ Der Potsdamer nimmt Fotografien oder Postkarten als Vorlage für seine Gemälde. „Ich male nicht ab, ich gestalte. Das ist ein Unterschied“, sagt Zwirner. Die Fantasie zeichne mit, etwa bei seinen farbenfrohen Bildern aus dem All – ursprünglich geschossen vom Weltraumteleskop Hubble.
„Ich verkaufe nicht, kein einziges.“ 250 Euro habe ihm ein Liebhaber bereits für ein tiefrotes Sonnenuntergangsbild geboten. Zwirner blieb hart. „Dann könnte ich sie nicht mehr ausstellen.“ Die Preußenschau ist bereits seine 20. Ausstellung. „Ich will etwas schaffen, über das sich Menschen freuen“, sagt Zwirner.
Die Ausstellung ist noch bis Juni im Bürgerhaus in der Galileistraße 37-39 zu sehen. Geöffnet wochentags ab 10 Uhr.
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