zum Hauptinhalt

Homepage: Am virtuellen Fließband

Die Universität Potsdam betreibt Deutschlands einzige hybride Modell-Fabrik. Ein Besuch bei „Lupo“ am Campus-Griebnitzsee

Stand:

Moderne Fabriken arbeiten schnell, effizient und präzise – aber verbessern lässt sich natürlich immer etwas. Wenn Firmen neue Verfahrensweisen im Fertigungsablauf ausprobieren wollen, greifen sie für gewöhnlich auf Simulationen zurück: entweder komplett digitale oder rein physische Modellanlagen mit limitierten Anwendungsmöglichkeiten. „Wir liegen genau dazwischen“, sagt Norbert Gronau, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik der Universität Potsdam, und meint damit das Anwendungszentrum Industrie 4.0 (AZI). Es ist die einzige hybride Anlage für Fabriksimulationen in Deutschland, bei der die Softwaresimulation auf physische Modelle übertragen wird. „Vielleicht sogar die einzige dieser Art weltweit“, sagt Gronau. Das Projekt hört auf den schönen Namen „Lupo“ (Leistungsfähigkeitsbeurteilung unabhängiger Produktionsobjekte).

Die Anlage kann beliebig viele Produktionsabläufe zukünftiger Fabriken simulieren. Sie steht in einem Bürogebäude auf dem Campus Griebnitzsee. Sander Lass, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Lehrstuhls, führt etwa ein Dutzend interessierter Gäste aus Industrie und Wissenschaft um das hufeisenförmige Förderband herum, auf dem heute künstliche Kniegelenke hergestellt werden: „Hier haben wir eine CNC-Fräse, danach kommen die Schleif- und Poliermaschinen dran und dann noch Qualitätskontrolle, Reinigung und Verpackung“, zählt Lass auf und zeigt dabei jedes Mal nicht etwa auf große Maschinen, sondern auf hohle Metall-Kästen von etwa einem halben Meter Größe, die auf dem Förderband verteilt sind.

Diese „Cubes“, an deren Seiten Videobildschirme flimmern, tun so, als seien sie eine Maschine, je nachdem, wie sie vorher eingestellt wurden. Gleiches gilt für die „Werkstücke“ – etwas kleinere Cubes, ebenfalls mit Bildschirmen – die nach dem Start der Simulation über das Förderband rollen und in den einzelnen Stationen bearbeitet werden. Als das unfertige Kniegelenk bei dem Cube ankommt, der die CNC-Fräse simuliert, beginnt auf dessen Bildschirm ein Video abzulaufen, das den realen Arbeitsvorgang in der Fabrik zeigt – mit dem entsprechenden Sound: Laute Bohrgeräusche erfüllen die Baracke, in der sogar ein Meisterbüro mit großem Sichtfenster eingerichtet wurde, wie in einer echten Fabrik. „Das Einzige, was noch fehlt, ist der typische Werkhallengeruch nach Öl und Kühlmitteln“, scherzt Lass.

Im Prinzip bräuchte man diese physische Anlage nicht, gibt Gronau zu, denn die eigentliche Simulation läuft im Computer ab. „Aber wenn man rein digital simuliert, kommt man auf gewisse Probleme gar nicht, zum Beispiel, was die Dauer von bestimmten Arbeitsabläufen angeht“, sagt Gronau. „Außerdem soll das AZI auch zur Schulung für Mitarbeiter genutzt werden, die neue Anlagen bedienen müssen.“ Vorteil: Dabei lassen sich auch simulierte Störungsfälle mit fehlerhaften Maschinen beliebig oft trainieren, ohne dass etwas kaputt geht, sagt Lass. Je nach Anwendungsfall lässt sich die Modellfabrik anpassen: Alle Module haben Rollräder und lassen sich schnell umstellen oder direkt zum Kunden transportieren. „Man arbeitet nicht ein Jahr lang an einer Simulation, sondern hat innerhalb von zehn bis 14 Tagen Ergebnisse“, so Lass.

Besonders nützlich ist das AZI zur Demonstration von RFID-Technik: „Wenn sich ein Produktionsleiter überlegt, ob er RFID- oder Funk-Chips in der Produktion einsetzen soll, können wir ihm hier schnell zeigen, wie die Arbeit mit oder ohne diese Technik aussieht.“ Lass demonstriert es: Eines der „Werkstücke“ bekommt einen grünen RFID-Chip und kann nun sozusagen mit den Maschinen „reden“: „Dank des Chips merkt das intelligente Werkstück, dass die Beschriftungsmaschine vor ihm noch belegt ist. Wenn sie frei wird, sagt die Maschine dem Werkstück ‚Bescheid’ und es kann weitergehen.“ Durch die Chips lassen sich viele Daten erheben und interne Abläufe innerhalb einer Fabrik besser durchschauen.

Und dies ist nicht nur auf künstliche Kniegelenke beschränkt: Lebensmittel, Autos, Schiffe – im Prinzip ist es egal, um welches Produkt oder welche Branche es sich handelt: Im AZI lässt sich nahezu jede Art von Fabrik simulieren. „Beispiel: Schokoladenproduktion“, sagt Gronau. „Schokolade ist ein Saisonartikel, der vor allem im Herbst und vor Weihnachten gefragt ist. Hier lässt sich testen, was man an der Produktion verändern muss, um auf saisonale Schwankungen zu reagieren.“

2009 hatte Gronau den Projektantrag für das AZI gestellt und es wurde daraufhin vom Bundeswirtschaftsministerium mit 1,5 Millionen Euro finanziert. Seit einem halben Jahr ist die Anlage nun in Betrieb und hat bislang 15 Firmen als Kunden, unter anderem Siemens und Infineon, aber auch regionale Unternehmen. Gekommen war dem Lehrstuhlinhaber die Idee für das AZI an einem Messestand: „Ich suchte immer nach etwas, mit dem man den Nutzen von Informationstechnologie für die Industrie besser visualisieren konnte“, sagt Gronau. „Ich hatte es einfach satt, auf der Elektronik-Messe Cebit immer nur mit Computer, Bildschirm und Tastatur zu stehen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })