Homepage: An inneren Widersprüchen gescheitert Gerd Koenen über kommunistische Staaten
„Der Kommunismus war eine Riesenmaschine, die nur noch mit Unwucht gelaufen ist“, konstatiert Gerd Koenen im Potsdamer Einstein Forum. Bis zur bolschewistischen Revolution in Russland sei die Idee ohne wirkliche politische Dimension gewesen.
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„Der Kommunismus war eine Riesenmaschine, die nur noch mit Unwucht gelaufen ist“, konstatiert Gerd Koenen im Potsdamer Einstein Forum. Bis zur bolschewistischen Revolution in Russland sei die Idee ohne wirkliche politische Dimension gewesen. Erst mit den Umwälzungen in Russland und China im vergangen Jahrhundert habe der zuvor eher philosophische Begriff eine blutige Spur gezogen. Nicht die philosophisch-utopische Dimension des Begriffes interessiert Koenen, sondern die ganz realen Ausgangsbedingungen. Denn diese seien entscheidend gewesen für die Entwicklung des Kommunismus, nicht die Ideologie.
Als der rote Sturm die erst rudimentär erblühte Demokratie des zuvor zaristisch regierten Russland hinweg blies, hätte auch der bolschewistische Vordenker Lenin keinen rechten Plan gehabt. Zudem seien auch seine Vorstellungen von der aktuellen politischen Situation nicht zutreffend gewesen. Weder habe die Weltrevolution vor der Tür gestanden, noch habe man kurzfristig die breiten Volksmassen für eine kommunistische Machtergreifung in Russland begeistern können. Nicht zuletzt stelle sich die Entwicklung des Kommunismus in der Sowjetunion und China als eine Geschichte der Staaten- und Nationenbildung dar.
Als Ausgangspunkt seiner Betrachtung wählt Koenen dann aber die 50er Jahre. Die stets vorhandene antagonistische Situation zu den kapitalistischen Staaten sei die Ausgangsbedingung für das Experiment des Kommunismus gewesen. 70 Prozent des Kapitalstoffs der Sowjetunion seien in Bergbau und Schwerindustrie investiert worden. Trotzdem habe es nur für ein Sozialprodukt gereicht, das knapp dem eines mitteleuropäischen Landes entsprochen hätte. Ein Rüstungsanteil von 20 bis 30 Prozent des Sozialproduktes sei der wirtschaftlichen Entwicklung eines Staates auch nicht sonderlich förderlich. 1982 sind dann weltweit 22 Staaten „kommunistisch orientierte Volksrepubliken“. „Das waren aber eigentlich alles Mühlsteine, die ohne Unterstützung der UDSSR nicht entstanden wären. Nicht in einem Land hat eine von der breiten Masse getragenen Revolution die Kommunisten an die Macht gebracht.“ Auch die praktische Gestaltung der Planwirtschaft sei alles andere als planvoll gewesen.
„Tatsächlich war es zu weiten Teilen eine Tauschwirtschaft: Jelzin hat Gorbatschow kennengelernt, als er ihn darum bat, Holz gegen Getreide zu tauschen“, so Koenen. In den 80er Jahren habe dann die äußere Bedrohung nachgelassen. Eigentlich habe niemand mehr die UDSSR erobern wollen. Es sei eine Situation entstanden, in der „die Herrschenden nicht mehr können und die Beherrschten nicht mehr wollen.“ Das sei nach Lenin dann de facto eine revolutionäre Situation gewesen. Zugrunde gegangen sei das System an den eigenen inneren Widersprüchen. Dabei verweist Koenen nachdrücklich auf die unterschiedlichen Spielarten der Ideologie in den verschiedenen Staaten. Der Kapitalismus hingegen habe sich aufgrund seiner Wandlungsfähigkeit auch ganz gut ohne den Gegenspieler entwickeln können.
Dennoch mag sich der recht umtriebige Publizist und Historiker Koenen nicht so recht von der kommunistischen Idee verabschieden. Er versichert, dass sein aktueller Essay „Was war der Kommunismus“ nur ein kurz gefasster Vorgeschmack auf eine groß angelegte Analyse sei. Ob und wie die Utopie des Kommunismus erneut Fuß fasse, müsse sich zeigen. Die meisten der zahlreichen Bücher Koenens umkreisen Themen, die ohne linksutopischen Input nicht denkbar wären. Was wohl nicht zuletzt der Biografie des Autors geschuldet ist, der zeitweilig führendes Mitglied des kommunistischen Bundes Westdeutschland war. Koenens aktuelle essayistische Suche nach dem Wesen des Kommunismus wirkt allerdings recht ernüchtert. „Schon 1930 führte die damalige Weltwirtschaftskrise nicht dazu, dass kommunistische Parteien massenhaft Zulauf erhielten. Heute sind die postkommunistischen Staaten politisch eigentlich auf den Stand vor 150 Jahren zurückgefallen“. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
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