Potsdam: Anfassen erlaubt
Skulpturen der Bildhauerin Christina Rode werden heute auf Potsdams Straßen gezeigt
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„Die Ungeduldige“ darf zuerst aussteigen. Bildhauerin Christina Rode bekommt beim Heben der schweren Figur aus dem Autoanhänger Hilfe von Sabine. Die Schülerin der Oberlinschule ist aufgeregt, sie wartet an diesem Montag schon lange darauf, dass es endlich losgeht. Insgesamt werden vor der Oberlinkirche sieben große Holzfiguren der Künstlerin ausgepackt. Sieben Frauen, Männer, Mädchen in verschiedenen Posen.
„Die Ungeduldige“ beispielsweise stützt den Kopf in der Hand und schaut genervt zur Seite. Alle sitzen auf Stühlen und warten, wie Sabine. Vielleicht auf einen Betrachter. Für den es auch einen Stuhl gäbe, aus Holz gehauen – es ist ein ganz besonderes Ensemble. Es heißt „Die Reise der Wartenden“ und ist seit 2013 in Deutschland und Polen unterwegs – immer an öffentlichen Orten. Zuletzt konnte man die Wartenden in Wuppertal sehen, nun sind sie bis Ostern im Potsdamer Oberlinhaus zu Gast und werden, bevor sie in den verschiedenen Häusern und Abteilungen für die Passionszeit Asyl bekommen, am heutigen Dienstag durch die Potsdamer Innenstadt gefahren. Jeder Zuschauer darf nicht nur schauen, sondern diese Kunst auch anfassen, Holz und Form spüren und sich vielleicht selbst von der Figur berühren lassen.
Pfarrer Matthias Amme kam auf die Idee, Christina Rodes Wander-Installation einzuladen. Er hatte die Arbeiten der Künstlerin aus Mecklenburg-Vorpommern gesehen und dachte: Das passt ans Oberlinhaus. Zu Menschen, die ihre Umwelt mit eingeschränkten Sinnen erleben, hören statt sehen müssen oder umgekehrt. Und die ihre Welt mit den Händen ertasten. Wie Mireau, die blind ist. Die jetzt ihre Hand auf das Gesicht des „Sohnes“ legt, Stirn, Nase und Hals hinabwandert. „Diese Figur kommt zu euch ins Taubblindenheim“, sagt Amme.
Ab 9. April wird die Gruppe wieder vereint in der Oberlinkirche zu sehen sein. Bis dahin finden immer mittwochs um 13 Uhr Andachten an den verschiedenen Standorten der Figuren statt. „Lass dich vom Moment berühren“ ist das Thema. Es soll ein Innehalten in der hektischen Zeit ermöglichen, sagt Amme, ein Signal gegen die Schnelligkeit der Zeit sein. Wer sich Zeit nimmt für Kunst, werde für sich selbst und neue Begegnungen Zeit gewinnen. Am heutigen Dienstag kommt die Kunst zu den Menschen, zwischen 10 und 15 Uhr werden die Figuren auf ihren Sackkarren vom Luisenplatz zur Wilhelmgalerie gefahren, von Schülern, Bewohnern und Mitarbeitern der Oberlineinrichtungen. Mit vielen Haltestellen zwischendurch, Momenten, in denen jeder schauen – und anfassen darf. Christina Rode sagt, sie vertraut darauf, dass nichts passiert, jeder mit der Kunst respektvoll umgeht. Nur als Pfarrer Amme der „Mutter“, einer runden, weiblichen Frau, spaßeshalber seine Mütze aufsetzen will, protestiert sie.
Erste Andacht am Aschermittwoch um 13 Uhr in der Oberlinkirche, danach am 8. März in der Oberlinklinik
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