zum Hauptinhalt
Der junge Mann, der mit seinen Berechnungen einst der Weltraumbehörde NASA ein Dementi entlockte: Vor zwei Jahren (Bild r.) sorgte der Potsdamer Schüler Nico Marquardt weltweit für Aufsehen, als er die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes von der Erde und dem Asteroiden Apophis am 13. April 2036 mit 1:450 berechnete. Die NASA dementierte später.

© Manfred Thomas, Andreas Klaer

Von Ariane Lemme: Angezogen von der Gravitation

Der 16-jährige Nico Marquardt forscht zur „Verdrillung der Raumzeit“ – mit spektakulärem Ergebnis

Stand:

Kann eine Stadt, kann ein Wohnort über die berufliche Laufbahn entscheiden? War es einfach ein glückliches Zusammentreffen von Raum und Zeit, als Nico Marquardt im Alter von zwölf Jahren am Astrophysikalischen Institut in Potsdam (AIP) vorbei lief, sich fragte, was sich wohl unter der Kuppel verbirgt und hineinmarschierte, um es herauszufinden? Zumindest hat dies sein Interesse an Astrophysik so sehr entfacht, dass er anfing, auf eigene Faust zu forschen.

Um Zeit und Raum drehen sich auch die aktuellen Forschungen des 16-jährigen Potsdamers. „Verdrillung der Raumzeit“, heißen sie fachlich. Der Begriff beschreibt, was während eines Experiments des österreichischen Wissenschaftlers Martin Trajmar geschieht. Dabei wird ein Ring mit sieben Zentimetern Durchmesser auf 6500 Umdrehungen pro Minute beschleunigt, was an sich noch nichts Besonderes sei, wie Nico Marquardt betont. „Die meisten Computerfestplatten drehen sich schneller“, sagt er. Doch der Ring tut dabei offenbar etwas, das nach den bekannten Gesetzen der Physik nicht möglich ist: Er erzeugt Gravitation. Entscheidend sei aber, dass der Ring bei seinen Umdrehungen in einem Becken mit flüssigem Helium schwimme und dadurch auf Minus 270 Grad Celsius heruntergekühlt werde. Nico Marquardt erklärt, warum das von Bedeutung ist: Physikalische Reaktionen unter normalen Temperaturen sind gut erforscht. „Bei Minus 270 Grad aber“, sagt er, „stehen die Teilchen fast vollständig still, das heißt, wir befinden uns nicht mehr in der normalen Physik, sondern im Bereich der Quantenphysik.“

Ein Hinweis darauf, dass während des Experiments von Trajmar tatsächlich künstlich Gravitation erzeugt wird, liefern Lasersensoren, die rund um das Behältnis mit dem Ring angebracht sind. „Lasersensoren sind die genauesten Instrumente weltweit“, sagt Nico Marquardt. Sie werden abgelenkt, sobald der Ring sich dreht. Allerdings nur, wenn er sich im Uhrzeigersinn dreht. „In Neuseeland ist es aber genau anders herum, dort muss er sich in die entgegen gesetzte Richtung drehen, damit der Effekt eintritt.“ Das sei ein Hinweis auf „Parität“, also auf ein Spiegelverhalten. Es lege nahe, dass es sich um ein konstantes Verhalten zur Erdrotation handelt.

In der Wissenschaft gebe es dafür zwei Erklärungsansätze. Die einen glauben, es handele sich um einen akustischen Effekt, andere, so wie Nico Marquardt und Professor Trajmar, führen die Ablenkung der Sensoren auf künstlich erzeugte Gravitation zurück. „Mein Vorteil ist, dass ich jung bin und mit dieser Annahme nicht das Fundament meiner lebenslangen Forschung ins Wanken bringe“, sagt der 16-Jährige. Ältere Wissenschaftler müssten, sollte sich die Gravitationstheorie belegen lassen, eventuell eingestehen, dass Teile ihrer Forschung auf falschen Annahmen basierten. Nico Marquardt kann deren skeptische Haltung verstehen: „Wenn es tatsächlich ein akustischer Effekt ist, würde das weit weniger Schaden in der Physik anrichten.“

Lange konnte Martin Trajmar seine Forschungsergebnisse daher nicht in Fachpublikationen unterbringen und veröffentlichte seine Ergebnisse im Internet. Dort stieß auch der Potsdamer Schüler darauf. Und eben das geringe Interesse der Fachwelt an dem Experiment war es, das ihn neugierig machte. Als er im November 2009 nach Wien flog, rief er bei Martin Trajmar an und fragte, ob er ihn treffen könne. „Ich habe keine Ahnung, was er gedacht hat, als ein 15-jähriger Schüler bei ihm anrief, aber er war sehr freundlich, vor allem als er merkte, dass ich seine Arbeiten gelesen hatte“, sagt Nico Marquardt. Das Problem zu der Zeit war, dass es noch keinen Nachbau des Experiments von Trajmar gab, deshalb war ein Messfehler durchaus denkbar. Der Potsdamer Schüler aber setzte sich nach dem Treffen mit Trajmar in einer eigenen Arbeit kritisch mit dem Versuch auseinander – und war damit der erste. Mittlerweile ist der Effekt in Wissenschaftskreisen als Trajmar-Effekt anerkannt, ein Nachbau des Experiments fand in Neuseeland statt und bestätigte die Ergebnisse. Nico Marquardt unterstreicht noch einmal die Relevanz von Trajmars und nun auch seiner Forschung: „Sollte sich herausstellen, dass die Theorie mit der Schwerkraft tatsächlich stimmt, käme das in seiner Bedeutung der Entdeckung der Elektrizität bei.“

Der Potsdamer Schüler hat schon einmal mit einer Arbeit für mediale Aufmerksamkeit gesorgt: Er rechnete die Einschlagswahrscheinlichkeit des Asteroiden Apophis nach. Im Gegensatz zu den Experten bei der Nasa erwog er dabei auch eine Kollision mit einem Satelliten, kam aber letztlich nahezu zur selben Wahrscheinlichkeit wie die US-Wissenschaftler: 1: 45 000. Weil er jedoch in einem Interview den Asteroiden als Killerasteroiden bezeichnet hatte, sei der Eindruck entstanden, „ich hätte die Berechnungen der Nasa widerlegt“.

Seine Freizeit, sagt Nico Marquardt, leide nicht unter all der Arbeit, die er sich neben der Schule macht. „Ich habe ja keinen Zeitdruck, während der Schulwoche arbeite ich etwa sechs Stunden an meiner Forschung“, nur an Wochenenden oder in Ferien sei es mehr. Im Physikunterricht hilft ihm sein Wissen ohnehin nicht viel, „das womit ich mich beschäftige, kommt da noch gar nicht vor“. Nach dem Abitur und vor dem Physik- und Philosophiestudium möchte Nico Marquardt ein Jahr zum Schüleraustausch in die USA. „Sprachen liegen mir überhaupt nicht, und so könnte ich mein Englisch verbessern.“ Natürlich lassen sich an Universitäten wie dem Massachusetts Institut of Technology auch gute Kontakte zu anderen Wissenschaftler knüpfen. Wie das geht, darin hat Nico Marquardt ja schon Erfahrung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })