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Von Guido Berg: Anreden gegen das Schön-Reden

Großer Andrang bei der Eröffnung der Stasi- Ausstellung „Feind ist, wer anders denkt“

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Sie waren alle da. Wer in der Potsdamer Lokalpolitik etwas darstellt – oder die Absicht hat, dies einmal zu tun – der besuchte gestern die Eröffnung der Wanderausstellung der Bundesbeauftragten für die Akten der DDR-Staatssicherheit „Feind ist, wer anders denkt“. Eine ganz spezielle Aufmerksamkeit erregte die Anwesenheit von Hans-Jürgen Scharfenberg, der Stadtfraktionschef der Linkspartei. Der Reporter einer Boulevard-Zeitung begrüßte ihn mit den Worten: „Wie schön, dass sie da sind. Dann sind ja heute nicht nur Opfer hier.“ Vor Jahren hatte eine Stadtverordneten-Überprüfung eine Stasi-Zusammenarbeit Scharfenbergs als Informeller Mitarbeiter (IM) ergeben. Ein Stadtverordneten-Gremium stufte seine IM-Tätigkeit als nicht gravierend ein und empfahl, er könne sein Mandat behalten. Der heutige Landtagsabgeordnete hatte seine Stasi-Zusammenarbeit auf eigene Initiative beendet. Er sei nicht geeignet, Menschen auszuhorchen, sagte er einmal.

Scharfenberg steckte die spitze Bemerkung ungerührt weg. Mit der Stasi-Ausstellung werde die „wichtige öffentliche Aufgabe einer Geschichtsaufarbeitung wahrgenommen“ sagte er den PNN.

Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) erinnerte in seiner Ansprache daran, dass die Staatssicherheit sich die Aufgabe gestellt hatte, die gesamte DDR-Gesellschaft unter Kontrolle zu halten – „und das mit Methoden, die selbst der DDR-Verfassung widersprachen“. In den 80er Jahren seien auf 1000 Einwohner 5,5 hauptamtliche Stasi-Leute gekommen, so Jakobs weiter. Die Ausstellung im Stadthaus sei 20 Jahre nach der Wende der Auftakt für das Themenjahr „Stadt der Bürgerinnen und Bürger“. Im Herbst dieses Jahres werde im ehemaligen Stasi-Untersuchungsgefängnis Lindenstraße 54 das Ausstellungsmodul „Haus der Demokratie“ eröffnet. Zur Schließung der Potsdamer Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde sagte Jakobs, das Thema solle in Potsdam weiter präsent sein. Ein Vertrag mit der Stasi-Unterlagenbehörde über die Unterstützung der politischen Bildungsarbeit in der Gedenkstätte Lindenstraße 54 sei in Arbeit.

Einen Bogen zur gegenwärtigen Wirtschaftskrise zog Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). Wer angesichts dessen die Planwirtschaft wiederhaben wolle, der sei daran erinnert, dass die Gebote der Freiheit in der DDR komplett missachtet wurden. Platzeck rief den Ausstellungsgästen drei Ereignisse von 1989 in Erinnerung – „weil wir Menschen dazu neigen, Dinge schön zu reden“: Vor fast genau 20 Jahren, am 19. Januar 1989 prophezeite Erich Honnecker, die Mauer werde noch in 100 Jahren stehen. Am 6. Februar 1989 starb Chris Gueffroy durch Schüsse von DDR-Grenzsoldaten. Am 4. Juni 1989 rechtfertigte der SED-Obere Egon Krenz das Massaker auf dem Tiananmen-Platz in Peking mit dem Argument, der Staat müsse Ordnung schaffen.

Dass die Gründung der Stasi-Unterlagenbehörde keine Gemeinheit der westlichen Bundesrepublik war, daran erinnerte deren heutige Leiterin Marianne Birthler. Die Öffnung der Stasi-Akten sei vielmehr noch von der Volkskammer beschlossen worden. Sie rechtfertigte die Zugänglichkeit der Akten: „Geschlossene Akten sind viel gefährlicher als offene.“ Entgegen den Befürchtungen seien nie Racheakte von Opfern an Tätern bekannt geworden. Die Nachfrage nach Akteneinsicht sei ungebrochen hoch, 90 000 Anträge seien es pro Jahr.

Zu den ersten Besuchern der Ausstellung „Feind ist, wer anders denkt“ gehörte gestern der Architekt Christian Wendland. Genau 444 Tage saß er aus politischen Gründen in DDR-Gefängnissen. Wendland hat dafür vor Kurzem eine Opferrente beantragt, soll aber dafür seine Vermögensverhältnisse offenlegen. „Was geht das die an?“, zürnte Wendland. „Ich bin dagegen, dass meine privaten ökonomischen Verhältnisse Gegenstand der Untersuchung von irgendwelchen Bürokraten sind.“ Daher werde er auf die Opferrente verzichten, kündigte er an.

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