Landeshauptstadt: Anspielen gegen den Himmel
Noch knapp eine Woche bis zur „Carmen“-Premiere: Wie Volker Schlöndorff die Inszenierung auf der Wannsee-Bühne vorbereitet
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Berlin-Wannsee - Atemberaubend. Dieses Bild müssen Regisseur Volker Schlöndorff und Bühnenbildner Volker Hintermeier im Kopf gehabt haben, als sie über den Entwürfen für die Kulisse saßen: Der im Sonnenuntergang glühende Himmel über dem Wannsee bringt den überdimensionalen schwarzen Fächer auf der Seebühne im Strandbad buchstäblich zum Leuchten. Ein roter Werbeschriftzug weist die Szenerie als Vorplatz einer Zigarrenfabrik aus. Eine Häuserruine flankiert das Bild zur Linken, ein abgewrackter Wohnwagen zur Rechten, im Vordergrund spannt sich eine altmodische Stromleitung zwischen zwei Holzmasten. Ein verzauberter Ort, aber verlassen ist er nicht: Ein Akrobat turnt wie nebenbei an einem der Masten, drückt sich mit den Armen in die Waagerechte. Aus der Ruine taucht eine Schar Sänger in Feierstimmung auf: „Es lebe Escamillo!“
Für das Ensemble der diesjährigen Seefestspiele, für die Solisten, Akrobaten, Tänzer und Sänger des Neuen Kammerchors Potsdam, ist es der erste Probentag auf der Bühne am Wannsee. Zehn Stunden liegen hinter dem Team, als sich kurz nach Sonnenuntergang am Montagabend Regisseur Volker Schlöndorff und Festspielintendant Christoph Dammann – beide sind Wahlpotsdamer – für die Arbeit bedanken. Noch zehn Tage bis zur Premiere von Bizets Opernklassiker „Carmen“. Die Stimmung schwankt zwischen Spielfreude und Anspannung.
Auch bei einem Oscar-Preisträger wie Volker Schlöndorff: „Es macht ’ne Riesenfreude, gegen den Himmel anzuinszenieren“, sagt er nach Probenende. Dass die raffinierte Kulisse, die das Spiel des Wetters mit auf die Bühne holt, im Studio Babelsberg gebaut wurde, war auch seine Idee: Denn die Fächerkonstruktion aus Holz und Eisen sollte nicht nur kunstvoll aussehen, sondern muss auch wind- und wetterfest sein – wie Außensets für Filme, eine Spezialität der Babelsberger Handwerker. 22 Meter breit und elf Meter hoch ist der von ihnen gefertigte Carmen-Fächer.
Dass Schlöndorff die Premiere in der nächsten Woche zurückgelehnt als Zuschauer genießen kann, glaubt er nicht. „Hier gibts genug zu tun, ich gucke mir dann die Aufzeichnung in einem Jahr an“, sagt der Regisseur und lächelt. Bei einem Live-Spektakel ist seine Regiearbeit fast wie eine Operation am offenen Herzen: „Bis zur letzten Aufführung wird jede Vorstellung anders sein“, sagt Schlöndorff.
Als künstlerische Herausforderung beschreibt auch Ud Joffe, Leiter des Neuen Kammerchors Potsdam, das Projekt: „Die Kulisse ist zwar sehr schön, aber durch die fehlende Akustik auch sehr anspruchsvoll.“ Wie schon im Vorjahr wird der Kammerchor auf der Opernbühne mitspielen, während die Musiker der Kammerakademie Potsdam in einem Zelt seitlich davon musizieren. Für den Chor gehören die Seefestspiele zu den großen Projekten. 35 Chorsänger sind beteiligt – für mögliche Krankheitsfälle sind außerdem sechs Austauschsänger vorbereitet. Dass die Partien sitzen, das zeigten die Potsdamer bereits beim Stadtwerke-Fest vor mehreren Tausend Besuchern. „Wir haben den Chor vor den Sommerferien im Juni einstudiert“, sagt Ud Joffe.
Mit Volker Schlöndorff habe der Kammerchor vor zwei Wochen zum ersten Mal szenisch geprobt – also besprochen, wie sich die Sänger auf der Bühne bewegen sollen. „Er ist ein sehr milder Regisseur – und offen für Vorschläge“, sagt Joffe über Schlöndorff: „Die Zusammenarbeit läuft reibungslos.“ So habe der Regisseur zum Beispiel ein Einsehen gehabt, wenn der Chor bei rhythmisch besonders schwierigen Szenen nicht über die ganze Bühne verteilt werden kann – wo es doch unter freiem Himmel ohnehin schwierig ist, die anderen zu hören.
Nach den zwölf Vorstellungen am Wannsee nimmt sich der Potsdamer Chor keine Pause: Eine Konzertreise nach Israel steht auf dem Plan, ein Konzert im Rahmen des Vocalise-Festivals in Potsdam und schließlich die Wiederaufnahme des „Figaro“ in der Inszenierung von Andreas Dresen für die Potsdamer Winteroper.
„Carmen“, ab 16. August am Wannsee. Tickets ab 40,50 Euro im PNN-Shop im Karstadt in der Brandenburger Straße.
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