
© Michael Klug/dapd
Von Michael Klug: Antiautoritäre Rindererziehung
Kuhflüster-Seminare: Prignitzer Landwirt will Großstädter entschleunigen und besseres Fleisch erzeugen
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Zempow - An ihre erste Begegnung mit einer Kuh geht die junge Frau aus Berlin völlig unvoreingenommen heran. Entschlossen steigt die Teilnehmerin des einzigen Kuhhüte-Seminars in Brandenburg vom schützenden Safari-Traktor und stapft mit nagelneuen Gummistiefeln geradewegs durch das saftig grüne Gras auf die Herde zu.
Erst als die bis zu 600 Kilogramm schweren Kühe sie bemerken und sich die Herde in ihre Richtung dreht, nimmt das Ganze eine Wendung. Die Frau zögert und sucht Schutz hinter Kuh-Trainerin Anja Feierabend. Die wiederum dirigiert die Tiere mit einigen wenigen Schulterbewegungen eilends in eine andere Richtung. „Rinder sind Beutetiere und geraten bei Gefahr schnell in Panik. Mit einem Eimer voll Adrenalin im Blut rennen die dann alles um, was ihnen im Weg steht“, sagt die 23-jährige Landwirtin von der Bioranch Zempow im äußersten Norden Brandenburgs.
Um unheilvolle Begegnungen zwischen Kuh und Mensch zu verhindern, veranstaltet die Bioranch seit diesem Sommer Kuhhüte-Seminare.
Landwirte und interessierte Laien können dabei die Methode des „Low Stress Stockmanship“ kennenlernen. „Wir gehen mit den Leuten auf die Weide und zeigen, wie man den Tieren ausschließlich mit Körpersprache Impulse gibt und sie so lenken“, erklärt Landwirtin Feierabend die aus Kanada stammende Methode des gewaltfreien Viehtriebs. Und immer mehr Menschen wollen diese Methode offenbar erlernen. „Wir bieten das seit diesem Sommer an und die Nachfrage steigt“, sagt Feierabend.
Dass manche der Teilnehmer im Umgang mit Tieren völlig ahnungslos sind, passt für Wilhelm Schäkel durchaus ins Konzept. „Mit dem Seminar richten wir uns ganz bewusst an ein breites Spektrum von Menschen. Also auch an solche, die eigentlich gar nichts mit Tieren zu tun haben“, sagt der studierte Philosoph und promovierte Landwirt. Schließlich will der aus Ostfalen stammende Chef auf der Zempower Ranch und Erfinder der Kuhhirte-Seminare gerade der landfernen und meist gestressten Stadtbevölkerung ein Erlebnis zur inneren Beruhigung verschaffen. „Um mit den Tieren kommunizieren zu können, muss man zunächst selbst in sich hinein horchen und einen Bezug zum eigenen Körper bekommen. Allein das entschleunigt die meisten schon ungemein“, sagt Schäkel.
Neu ist das Kühehüten auf dem Ökohof in Zempow indes nicht. Schon vor drei Jahren hat Schäkel damit begonnen, allerdings als handfestes Praxisseminar für Fachleute. So kamen bislang Rinderzüchter, Schäfer und Tierärzte zu Schäkel und Feierabend, um von ihnen den gewaltfreien Umgang mit Herdentieren zu lernen. „Die meisten sind es gewohnt, die Tiere beim Umsetzen auf andere Weiden oder beim Abtrennen der Jungtiere mit Stöcken oder Forken zu treiben. Wir wollten zeigen, dass es mit einfachen Mitteln auch anders geht“, sagt Schäkel. Anfänglich musste er sich dabei natürlich gegen Klischees durchsetzen. „Bei einigen Landwirten läuft man Gefahr, in die Spinner-Ecke zu geraten. Immer mehr wissen den friedlichen Umgang mit den Tieren aber zu schätzen“, sagt Schäkel.
Und konsequent bis zum Ende eines Kuhlebens durchgeführt, kommt die antiautoritäre Rinder-Erziehung nach Überzeugung Schäkels auch dem Endverbraucher zu Gute. „Gerade der Gang zum Schlachter ist für die Tiere bei der herkömmlichen Methode ungemeiner Stress. Und der findet sich später in Form von Hormonen im Fleisch wieder“, sagt er. Im Gegensatz dazu reife das Fleisch beruhigter Tiere weitaus besser.
Zugleich ist die Idee mit dem Kühehüten für Schäkel eine Möglichkeit, um die nahezu menschenleere Gegend an der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern für andere Einnahmequellen als die reine Landwirtschaft zu erschließen. „Der Boden hier ist mager, da muss man sich fürs Überleben noch etwas anderes einfallen lassen. Dorftourismus ist da ein Zauberwort“, schildert Schäkel, der zusammen mit seinen zehn Mitarbeitern bereits als Tourismus-Pionier in der Region gilt. Und wie schön so ein Tag auf dem Land tatsächlich sein kann, kann die Studentin aus Berlin zum Abschluss des Seminars nur bestätigen. „Ich wollte mal rauskommen aus der Stadt und etwas anderes sehen. Und dass Brandenburg so schön ist, wusste ich nicht“, sagt die 20-Jährige, während sie am Lagerfeuer bei Steak und Rinderbratwurst den Sonnenuntergang jenseits der Viehweiden genießt.
Michael Klug
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