Homepage: Anzeichen der Stabilisierung
Der Balkan am Scheideweg: Auf den Potsdamer Frühjahrsgesprächen 2006 dachte man über die Perspektiven des ehemaligen Jugoslawiens nach
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Während man in Europa die Ergebnisse des Salzburger EU-Außenministertreffens zur EU-Perspektive des westlichen Balkans weitgehend positiv bewertete, macht sich vor Ort eher Enttäuschung breit. „Die Chance eines echten Balkan-Gipfels wurde verpasst“, sagte der ehemalige serbische Außenminister Goran Svilanovic unlängst auf den Potsdamer Frühjahrsgesprächen der Stiftung Entwicklung und Frieden (SEF). „Die Botschaft von Salzburg ist gefährlich schwach, sie könnte zur Schwächung des Integrationsprozesses in der Region führen“, so Svilanovic. Albanien, Serbien-Montenegro, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und Kroatien waren vom Außenministertreffen vor drei Wochen als „potenzielle Beitrittskandidaten“ der EU genannt worden, über den Zeitpunkt des Beitritts gibt es allerdings Differenzen.
Bei dem Potsdamer Treffen von Wissenschaftlern, Experten und Politikern im Hotel Voltaire, das seit Jahren unter Beteiligung der Zeitschrift „WeltTrends“ (Universität Potdam) stattfindet, kam man zu dem Schluss, dass die Lage im ehemaligen Jugoslawien nach wie vor nicht sehr rosig sei. „Doch so hoffnungslos wie vor Jahren ist sie nicht mehr, es gibt deutliche Anzeichen der Stabilisierung“, sagte Dr. Erich Fröschl vom Wiener Renner Institut. Die heißen Konflikte würden langsam erkalten, nun liege es an den europäischen Akteuren, der EU-Perspektive eine Farbe zu geben.
Einen neuen bewaffneten Konflikt auf dem Balkan schlossen dann auch die meisten der Teilnehmer aus. Allein schon, weil die Ressourcen dazu fehlen würden. In diesem Jahr stehen vielmehr einige zentrale Weichenstellungen in der Region an. Im Kosovo muss die Statusfrage geklärt werden, Montenegro lässt über seine Unabhängigkeit abstimmen und auch in Bosnien-Herzegowina stehen zentrale Veränderungen an. Mit Ausnahme vielleicht von Kroatien befinden sich alle Länder des westlichen Balkans noch im Stadium der Transformation, und auch wenn ein Wiederausbruch gewalttätiger Konflikte derzeit eingedämmt scheint, ist die politische und wirtschaftliche Situation der Staaten alles andere als stabil.
Nach wie vor gibt es auch bilaterale Konflikte, etwa Grenzstreitigkeiten zwischen Slowenien und Kroatien, die nach Ansicht von Goran Svilanovic so schnell wie möglich beseitigt werden müssten. Auch könnte der Tod von Milosevic Folgen für die Region haben. „Sollte die uniformierte, alte Garde wieder an die Macht komme, wäre das eine Kehrtwende auf dem Scheideweg“, so der ehemalige Außenminister. Hohe Erwartungen knüpft der Politiker an die kommende deutsche EU-Ratspräsidentschaft: „Die Region erwartet von Deutschland eine klare EU-Perspektive.“ Die regionale Kooperation müsse gestärkt werden, eine Sicherheitsreform sei die Voraussetzung für eine weitere Stabilisierung.
Eine Stabilisierung erwartet man sich in Zukunft auch von der Ökonomie. Seit 2000 verzeichnet die gesamte Region eine relativ gute wirtschaftliche Entwicklung, Mazedonien hängt ein wenig hinterher, das Kosovo ist mit einer anstehende Depression die Ausnahme. Das Wachstum beträgt in den meisten Ländern vier bis fünf Prozent.
Dennoch ist die Lage schwierig. Drei strukturelle Probleme der Ökonomie nennt Prof. Vladimir Gligorov vom Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (Wien). Zum einen die erhebliche Entindustrialisierung, zum anderen große Haushaltsdefizite einzelner Länder, etwa Kroatiens. Ein gravierendes Problem sei zudem die Arbeitslosigkeit, die in Mazedonien sogar 37 Prozent betrage. Vor allem die junge Generation und die Frauen seien davon betroffen. Grundlegend werde in der Region zu wenig exportiert, vor allem Lebensmittel werden importiert. Die Landwirtschaft sieht dann auch Dr. Franz-Lothar Altmann von der Stiftung Wissenschaft und Politik (Berlin) als einen möglichen Wachstumsmarkt der Region. Allerdings müsse dafür die EU, aus der große Mengen Lebensmittel importiert werden, Zurückhaltung zeigen. „Wir müssen Schutzzölle ermöglichen und der Landwirtschaft vor Ort auf die Beine helfen“, sagte Altmann. Für den West-Balkan favorisiert der Ökonom eine gemeinsame Wirtschaftszone: „Ein Markt mit 20 bis 30 Millionen Menschen ist für Investoren interessanter als zersplitterte, kleine Märke“.
Eine ganz anderen Aspekt sprach der Ökonom Dr. Peter Lock (Hamburg) an. Er vertrat die Meinung, dass die wirtschaftliche Entwicklung auch von der Visafreiheit für die Menschen des West-Balkans in der EU abhänge. Durch die Migration würde es zu einem Geld-Rückfluss in die betroffenen Länder kommen, der dort wiederum den Markt ankurbelt. Überhaupt sei es heute „völlig absurd“, dass bei uns mittlerweile integrierte Kosovaren in ihre Heimat abgeschoben würden. In den USA wäre so etwas undenkbar, dort würde man das durch Integration entstandene Potenzial nutzen.
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