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Landeshauptstadt: Apothekenmitarbeiter mit Argusaugen – Rezeptfälschungen flogen auf

Psychiatrischer Gutachter: Schwere Psychose hat keinen Einfluss auf die Taten/Gericht: Geldstrafe ist symbolischer Art

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Psychiatrischer Gutachter: Schwere Psychose hat keinen Einfluss auf die Taten/Gericht: Geldstrafe ist symbolischer Art AUS DEM GERICHTSSAAL Von Gabriele Hohenstein Die Augen der Richterin werden immer größer. „Wovon wollen Sie Halluzinationen bekommen haben?, fragt sie ungläubig. „Von Stechapfeltee?“ Stefan L. (25) auf der Anklagebank nickt und holt zu einer weitschweifigen Erklärung aus. 1998 habe er große Mengen jenes Getränks genossen, danach plötzlich Stimmen gehört sowie Wahnvorstellungen gehabt. „Ich lag drei Tage im Krankenhaus“, erzählt der gelernte Bäcker. Doch auch nach seiner Entlassung habe er sich von bösen Mächten besessen gefühlt, geglaubt, eine fremde Seele in sich zu tragen und von Menschen seines näheren Umfelds verfolgt und abgehört zu werden. „Ich leide unter Schizophrenie. Manchmal kichere ich auf der Straße, oder mir schießen ganz verrückte Dinge durch mein Hirn.“ Die Sache mit den „getürkten“ Rezepten allerdings war generalstabsmäßig geplant und ausgeführt. Am Computer der Stadt- und Landesbibliothek fälschte Stefan L. zwischen Januar und November 2002 sechs ärztliche Formulare, um in den Genuss eines von ihm gewünschten aufputschenden Medikaments zu gelangen. „Das habe ich unter eingeschränkter Wahrnehmung meines Bewusstseins getan“, erklärt der Angeklagte. Zu jener Zeit sei er sehr antriebsgehemmt gewesen und habe die Pillen gebraucht. Doch seine behandelnden Ärzte hätten herausgefunden, sie täten ihm nicht gut. Da habe er eben zur Selbsthilfe gegriffen. „Wurden die Rezepte von den Apotheken anerkannt?“, will die Vorsitzende wissen. Der Potsdamer verneint dies. Dr. Klaus Simon (45), Arzt für Neurologie und Psychiatrie, attestiert Stefan L. tatsächlich eine chronische Schizophrenie mit besonders hartnäckigem Krankheitsverlauf. Er kenne ihn seit vier Jahren, in denen er glaubhaft machen konnte, dass er Stimmen höre und sich mit imaginären Kräften auseinander setze. „Es handelt sich hier um ein komplexes Wahnsystem, eine bunte Mischung aus religiösen, wissenschaftlichen und pseudowissenschaftlichen Dingen.“ Stefan L. habe monatelang unter Halluzinationen gelitten, sei während dieser Zeit völlig in sich versunken. Zwischenzeitlich habe er auch Rauschgift konsumiert. Die klug durchdachten Rezeptfälschungen habe er trotz seiner schweren Psychose bewerkstelligt, nicht wegen ihr. Der Frührentner wisse sehr wohl um die Strafbarkeit seines Handelns, doch sei seine Persönlichkeit durch die jahrelange Krankheit stark verändert worden. „Er kann Wichtiges nicht mehr von Unwichtigem unterscheiden und lebt über weite Strecken in seiner eigenen Welt, in der die Bedürfnisbefriedigung Vorrang besitzt“, so der Gutachter. „Der Angeklagte glaubte in seinem Wahn, billig an das gewünschte Medikament zu kommen“, konstatiert der Staatsanwalt. Jedoch sei von eingeschränkter Schuldfähigkeit auszugehen. Das sieht auch das Gericht und verhängt eine „symbolische Geldstrafe“ von 30 Tagessätzen zu je 13 Euro.

Gabriele Hohenstein

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