Landeshauptstadt: Applaus für den Kuckuck
Kreischen vor Freude statt steifer Stille: Das Berliner Flöte-Harfe-Duo „Con Passione“ gab ein Konzert an der Comenius-Schule für geistig behinderte Kinder
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Tausend Kilo, ruft ein Kind. So viel wiege das Instrument, das Anna Koim in die Aula der Comenius-Schule geschleppt hat. Die Musikerin lacht, während sie es sorgfältig auspackt und wiegelt ab: Nein, nur 46 Kilogramm schwer ist die Harfe. Etwa so wie ein großes Kind, schätzt sie. Die Harfistin Anna Koim und die Flötistin Agnieszka Danilecka sind Studentinnen der Berliner Universität der Künste. Konzerte sind sie gewohnt. Aber dieser Auftritt ist etwas Besonderes für sie. Denn zum ersten Mal spielen sie vor geistig behinderten Kindern und Jugendlichen und moderieren ihr Konzert selbst. Für zwei Aufführungen am Dienstagvormittag sind sie aus Berlin gekommen und wollen die Schüler der Comenius-Schule mitnehmen auf eine Traumreise aus Musik.
Viele Projekte und Stiftungen haben es sich zum Ziel gesetzt, jungen Menschen den Zugang zur Klassik zu eröffnen. Die wenigsten von ihnen allerdings haben dabei Schüler mit Behinderung im Blick. Die Organisation Yehudi Menuhin Live Music Now Berlin veranstaltet rund 250 Konzerte im Jahr in und um Berlin in sozialen Einrichtungen, in Pflegeheimen, in Strafgefängnissen, in Hospizen – überall dort, wo die Menschen nicht selbst Konzerthäuser besuchen können. Zwar könnten die Schüler an der Comenius-Schule sehr wohl selbst in einen Konzertsaal gehen und Zuhörer sein – nur würden sie wohl als recht störend empfunden, so emotional und spontan, wie sie sind in ihren Reaktionen.
Doch Anna und Agnieszka von Live Music Now wollen die Jungen und Mädchen gar nicht in einen Konzertsaal führen, sondern stattdessen in deren eigene innere Welt. „Stellt euch vor, wir sind gar nicht mehr in der Schule“, sagt Anna, „sondern ihr liegt im Bett, wenn es Nacht wird und die ersten Träume kommen.“ Stücke von Camille Saint-Saëns, Felix Mendelssohn, Béla Bartók im Duo oder Solo spielen sie ihnen vor und lassen sich die Kinder Tiere vorstellen oder erraten.
Zwischen den Schülern sitzen ihre Erzieher und Lehrer, manche Kinder auf dem Schoß der Erwachsenen, sie raunen ihnen manchmal zu: „Psst, zuhören“, aber die meisten Schüler lassen ihren Gefühlen beim Hören der Musik trotzdem freien Lauf. Es gibt spontanen Zwischenapplaus, wenn die Töne der Querflöte wie Vogelgezwitscher klingen. Sie rufen laut „ein Kuckuck“, als sie das Motiv wiedererkennen.
Aber mitten im Konzert, für einen kleinen Augenblick, gibt es auch, eine andächtige Stille, wie sie nur echtes Zuhören hervorbringt. Die Aufführung wird ein wenig länger, als Anna und Agnieszka es geplant hatten, denn sie haben die Schüler in ihrer Aufnahmefähigkeit unterschätzt. So improvisieren sie unbemerkt, bevor sie die Kinder „wieder aufwecken“ von der Traumreise.
„Es war toll“, sagt die 21-jährige gebürtige Polin Agnieszka. Die Kinder seien so offen und hätten keine Angst. Vor allem der Kontakt mit ihrem Publikum war für sie eine neue Erfahrung: „Die Kinder waren ganz unruhig, man spürt, die leben, die sind da, das war sehr schön.“
Genau darum geht es auch Donata Gräfin von Brockdorff, selbst Flötistin und Organisatorin der „Live Musik Now“-Konzerte in Berlin und Potsdam. „Die Musiker bekommen sehr direktes Feedback und merken, was sie mit ihrer Musik auslösen“, erklärt sie. Die jungen Künstler kommen von der Hochschule „Hans Eisler“ oder der Universität der Künste in Berlin. Durch diese Konzerte, sagt von Brockdorff, lernten sie viel für ihre persönliche und musikalische Entwicklung. „Musik ist ein Kommunikationsmittel. Das gerät gerade im Studium, wo die jungen Musiker wie im Hamsterrad Wettbewerben und der Kritik ausgesetzt sind, oft in Vergessenheit.“
Die Organisation, die der Dirigent Yehudi Menuhin ins Leben gerufen hat, gibt regelmäßig Konzerte in Potsdam, im Hospiz auf Hermannswerder, in der Oberlinschule. Für die Comenius-Schule war diese Art Aufführung eine Premiere. Schulleiterin Maren Bullerjahn hofft, dass die Konzerte sich an ihrer Schule fest etablieren. Denn: „Selbst unsere schwerstbehinderten Kinder waren ganz wach und haben aufgehört zu jammern, stattdessen haben sie gekreischt vor Freude.“ Auch würden die Kinder sich wertgeschätzt fühlen, wenn Musiker, die sonst eher in Wettbewerben spielen, vor ihnen auftreten und sie nicht immer nur Förderung bekämen. Im Anschluss an das Konzert am Dienstagvormittag können die Kinder selbst die Instrumente ausprobieren. Der zwölfjährige Justin bekommt auf der Querflöte sogar zwei Töne heraus.
Grit Weirauch
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