Landeshauptstadt: Asche in der Konservenbüchse
Der Sozialdemokrat Fritz Schüler starb 1942 im Konzentrationslager Sachsenhausen. Nun erinnert ein Stolperstein an sein Schicksal
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Die Konservenbüchse trug noch die ursprüngliche Aufschrift: „Grüne Bohnen“. Doch was Hertha Schüler da in einer Blechbüchse per Post zugeschickt bekam, war die Asche ihres Mannes. Der Potsdamer Sozialdemokrat Fritz Schüler starb am 5. Dezember 1942 im Konzentrationslager Sachsenhausen. Dorthin war er nach mehreren Aktionen gegen die Nationalsozialisten deportiert worden. Am gestrigen Sonntag wurde Schüler mit einem Stolperstein geehrt.
Trotz des ungemütlichen Wetters hatte sich eine beachtliche Menschenmenge in der Großbeerenstraße vor der Hausnummer 152 versammelt. Diese Adresse war der letzte freiwillig gewählte Wohnort Schülers – und dort wurde der 26. Potsdamer Stolperstein verlegt. Mit den kleinen Gedenksteinen, die den Namen und die Lebensdaten des Geehrten festhalten und in den Gehweg eingelassen werden, will der Kölner Künstler Gunter Demnig weltweit die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus wachhalten.
Den häufigen Kommentar, man würde auf der Würde der Opfer herumtrampeln, wenn man über die Steine läuft, wies er an diesem Sonntag in Babelsberg mit einem einfachen Argument zurück. „Wenn man vor den Steinen stehen bleibt und den Text liest, muss man sich automatisch hinunterbeugen“, sagte Demnig. „Von daher ist jeder Stein eine Verbeugung vor den Opfern.“ Der Künstler verlegte den Gedenkstein in Anwesenheit von Horst Schüler, dem Sohn Fritz Schülers, Schülern der Voltaire-Gesamtschule, Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) und Günter Morsch, dem Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen.
Für das Projekt „Stolpersteine in Potsdam“ erforschen Schüler der Voltaire-Schule schon seit 2008 die Lebensläufe und Schicksale von verfolgten Falmilien im Nationalsozialismus. Über das Leben und Wirken von Fritz Schüler recherchierten die Jugendlichen der Klasse 10e. Angeleitet wurden sie dabei von ihren Lehrerinnen Ulrike Boni-Jacobi, die das Potsdamer Projekt ins Leben gerufen hat, und Maike Schöfer. Ihre Informationen bekamen sie größtenteils von Horst Schüler selbst, der auch zu einem persönlichen Gespräch in die Schule kam. Den Kontakt hatte die Stadt vermittelt, an die sich Horst Schüler persönlich mit der Bitte um einen Stolperstein für seinen Vater gewandt hatte.
Geboren wurde Fritz Schüler am 4. Oktober 1894 in Ketzin, wie die Jugendlichen am Sonntag bei der anschließenden Gedenkfeier in der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ berichteten. Er war mit der zwei Jahre jüngeren Potsdamerin Hertha Schüler, geborene Kleinschmager, verheiratet und hatte vier Kinder mit ihr. Sein Sohn Horst, der 1924 geboren wurde, ist das einzige Kind, das noch lebt.
Schüler arbeitete als Ableser von Wasserverbrauchsuhren bei den Charlottenburger Wasserwerken und war dort auch bis 1933 Betriebsrat. Als der jüdische Vorstand des Betriebes abgesetzt wurde, startete er eine Protestaktion.
Schüler war ein überzeugter Sozialdemokrat und auch sein Freundeskreis bestand größtenteils aus SPD-Mitgliedern. Seine politische Einstellung vertrat er auch nach dem Machtantritt der NSDAP mit voller Überzeugung und handelte sich deswegen oft Ärger ein, berichteten die Voltaire-Schüler. Am 3. März 1942 wurde Fritz Schüler wegen Vergehen gegen das sogenannte „Heimtückegesetz“ zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis Berlin-Moabit wurde er in das Untersuchungsgefängnis in der Lindenstraße überführt. Von dort aus wurde er in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert, wo er am 5. Dezember 1942 starb. Seine Frau Hertha bekam seine Asche in einer Konservenbüchse, die noch die Aufschrift „Grüne Bohnen“ trug, zugeschickt. Wenige Wochen nach Schülers Tod verstarb auch seine Frau.
Die Auseinandersetzung mit dem Schicksal der Schülers hat die Jugendlichen nachhaltig beeindruckt. „Wir haben viele wertvolle Erfahrungen gesammelt“, sagte der 15-jährige Lorenz: „Und die wollen wir in die Welt hinausschreien.“ Ein erster Schritt dahin waren die Luftballons mit Zetteln, auf denen die Taten Schülers vermerkt waren, die die Potsdamer am Sonntag in die Luft steigen ließen. Darüber hinaus hatten sie eine große Nachbildung des Stolpersteines angefertigt, der dauerhaft in der Schule ausgestellt werden soll. Am gestrigen Sonntag platzierten sie darauf Steine, die unter anderem die Schriftzüge „Mut“, „Widerstand“, „Hoffnung“ und „Protest“ trugen – alles Eigenschaften von Fritz Schüler. Besonders bewegend war die Lesung von zwei Briefen, die er während des Gefängnisaufenthaltes in der Lindenstraße schrieb.
Auch Horst Schüler war sichtlich berührt von den Ergebissen der Schülerarbeit. Mehrmals brach die Stimme des Sohnes, der selbst ein bewegtes Leben in der DDR hinter sich hat, als er von den Erinnerungen an seinen Vater sprach. Doch trotz aller Trauer hat er sich seinen Optimismus bewahrt und blickt im Großen und Ganzen positiv auf die Welt. „Ich fühle mich nicht als Alleingelassener“, sagte er: „Es nützt ja nichts, wenn man alles nur schwarz und weiß betrachtet. Man muss auch alle Zwischentöne wahrnehmen.“
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