Homepage: AStA warnt vor Bolkestein
Potsdamer Studentenvertretung ruft zur Demo gegen geplante „Bolkestein“-Dienstleistungsrichtlinie der Europäischen Union auf
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Man stelle sich vor: Ein unübersehbar großer Markt von Bildungsabschlüssen, bei denen keiner weiß, ob sie etwas taugen. Verwirrende Sonderangebote für Lernzertifikate, extra billig durch unterbezahlten Lehrkräften. Studiengebühren sowieso, ob mit oder ohne Stipendiensystem. Dieses Szenario, so befürchten Studentenvertreter wie Matthias Wernicke vom AStA der Uni Potsdam könnte nach dem 14. Februar langfristig Realität werden. Am kommenden Dienstag soll in Brüssel die so genannte „Bolkestein-Richtlinie“ im EU-Parlament behandelt werden. „Wir befürchten, dass mit einem ,Ja“ zu Bolkestein auch in den Hochschulen die normalen Ungerechtigkeiten einer europaweiten Marktwirtschaft gelten“, sagt Wernicke. Zentrale Vorgaben von Bundes- und Landespolitik – etwa bei der studentischen Mitbestimmung an Hochschulen – könnten dabei unterlaufen werden.
Der Vorschlag zur Richtlinie, den Studentenvertreter wie Wernicke so harsch kritisieren, ist bereits ein Jahr alt. Ihren Namen hat sie vom ehemaligen EU-Binnenkommissar Frits Bolkestein. Damit sollen Dienstleistungen europaweit liberaler behandelt werden, zwischenstaatliche Hemmnisse für Unternehmen der Branche soll das Gesetz beseitigen. Jedoch ist der Bereich Dienstleistungen weit gefasst: Angebote wie Kinderbetreuung, Verkehrssysteme, Weiterbildung sollen darin erfasst werden. Und, wie befürchtet, auch die Hochschulen.
Denn das neue EU-Recht greift, wenn Dienstleistungen unter Marktbedingungen angeboten werden und im Wettbewerb angeboten werden. „Also könnten Studiengebühren in Deutschland, wie sie einige Länder schon beschlossen haben, dafür sorgen, dass das deutsche Hochschulwesen als Dienstleistung im Sinne von Bolkestein betrachtet wird“, sorgt sich Wernicke. So würde der Hauptbestandteil der Richtlinie auch für die universitäre Bildung gelten: Das so genannte Herkunftslandprinzip. Das besagt, dass für ein Unternehmen nur noch die Gesetze des Landes seines Firmensitzes gelten, nicht aber die Bestimmungen in dem Land, wo es eine Dienstleistung – etwa Bildung – anbietet.
Mit unabsehbaren Folgen, wie die Studentenvertreter finden: In einem Beschluss von Mitte Januar warnt das Studierendenparlament, dass „bisher geltende Bestimmungen im Bereich des Arbeitsrechts, der Qualitätssicherung und er längerfristigen Bildungsplanungen unterlaufen“ würden. „Die Orientierung würde immens schwieriger, weil es viel mehr Bildungsanbieter gäbe“, erklärt Wernicke. Theoretisch sei es dann möglich, dass Studenten Weiterbildungen oder Abschlüsse ohne Wert anstreben, weil niemand wie zur Zeit vorher ihre Qualität prüfen könne. Noch größer ist die Sorge des AStA, dass die öffentlichen Ausgaben für staatliche Hochschulen wegfallen – weil sie im Wettbewerb mit privaten Anbietern gegen EU-Recht verstoßen könnten.
In ihren Positionen sind die Potsdamer Studenten allerdings die radikalsten Kritiker in Brandenburg. Im Grundsatz bekommen sie aber auch von der SPD Recht. „Die Möglichkeit, dass eine englische Uni nach englischem Recht und Bedingungen wie Studiengebühren in Potsdam eröffnet, wäre natürlich das Worst-Case-Szenario“, sagt etwa Klara Geywitz, hochschulpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion. Ihr PDS-Pendant Peer Jürgens ist ebenfalls besorgt, fürchtet um die „Qualität der Lehre“ nach Bolkestein. Bildung müsse ein Gut des Staates bleiben, damit jeder die gleiche Chance zum Studieren habe.
So wollen die Studenten nun für ihre Interessen demonstrieren. Der AStA ruft dazu auf, sich an den Protesten gegen Bolkestein zu beteiligen: Geplant ist morgen ein Protestzug in Berlin (11.30 Uhr, Bundeswirtschaftsministerium am Invalidenpark). Ebenso ruft der AStA zur Demonstration am 14. Februar in Straßburg auf, dem Tag, an dem die umstrittene Richtlinie im EU-Parlament behandelt wird. „Ich hoffe noch, dass des Parlaments sich von dem Vorschlag emanzipiert“, meint Peer Jürgens von der PDS, der 2003 ein Jahr lang Referent im AStA der Uni Potsdam war. Ein wenig enttäuscht äußert er sich über den heutigen AStA: „Die Proteste kommen etwas spät.“ Jedoch sei das Thema auch sehr abstrakt, um viele Menschen damit zu erreichen.
Dennoch, die Bedenken scheinen das EU-Parlament erreicht zu haben: Mit Christ- und Sozialdemokraten haben sich am Mittwoch die beiden größten Fraktionen auf einen Kompromiss geeinigt, nach dem etwa das umstrittene Herkunftslandprinzip gestrichen werden soll. Nach der Abstimmung will die Kommission ihre Änderungsvorschläge präsentieren. Eine Einigung der EU-Regierungen ist bis Ende Juni geplant. AStA-Sprecher Wernicke ist über den Diskussionsprozess erfreut, sieht aber weiter Gefahren für das Hochschulwesen: „Der AStA ruft natürlich weiterhin zur Demo am Samstag auf.“ Henri Kramer
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