Homepage: Atmosphäre der Gewalt
Der britische Historiker Richard J. Evans hat am Potsdamer ZZF sein Monumentalwerk zum „Dritten Reich“ vorgestellt
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Wenn ein britischer Historiker an 2000 Seiten (!) über den Nationalsozialismus arbeitet, dann erregt das schon Aufsehen in der Zunft. Zum Erscheinen des zweiten Bandes von Richard J. Evans Monumentalwerk „Das Dritte Reich“ hatte dann auch das Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) den renommierten Wissenschaftler eingeladen, seine Thesen vorzustellen. Erste Frage des ZZF-Co-Direktors Prof. Konrad H. Jarausch: Wieso man noch eine ausführliche Geschichte des Nationalsozialismus herausbringt, während die Regale der Bibliotheken mit ihnen reich gefüllt sind (Bracher, Shirer, Frey, Kershaw...). Während Evans ein „Bedürfnis für eine sehr breite Darstellung“ in Großbritannien anführte, bohrte Jarausch weiter: „Warum dann eine deutsche Übersetzung? Was ist neu?“ Er schreibe vorrangig nicht für Fachleute, sondern für interessierte Laien, so Evans. Entsprechend eindimensional nimmt sich dann auch die Fragestellung im ersten Band aus: Wie gelangte der Nationalsozialismus an die Macht, und welches waren seine Ursprünge? Fragen, die man eigentlich im Schulunterricht schon geklärt haben sollte.
Eine Gesamtinterpretation will Evans dann auch nicht bieten. Er liefert mehr Beschreibung als Analyse, meist allgemein verständlich ja sogar launig geschrieben. Etwa, wenn es darum geht, wann und mit wem Hitler das Mittagessen einnahm. Oder, dass der Diktator von seinem „Berghof“ auf dem Obersalzberg hinunter zu spazieren pflegte, um sich unten vom Fahrer wieder hochfahren zu lassen. Die zentralen Fragen entwickeln sich dann eher aus dem Kontext. Etwa, wenn Evans feststellt, dass im Europa der dreißiger Jahre der Antisemitismus zwar weit verbreitet gewesen sei, im Unterschied zu anderen Ländern aber nur die Deutschen die Judenverfolgung so radikal umgesetzt hätten. Wofür es schließlich der Entfesselung des Krieges bedurft habe. Wieso Deutschland hier so viel radikaler war, erklärt Evans mit der Schmach des Versailler Vertrags, für den man den Juden die Schuld gegeben habe. Eine Rolle habe auch gespielt, dass die Juden in Deutschland stärker assimiliert waren als etwa in Polen oder Rumänien. Der wichtigste Punkt für Evans: „Nirgendwo sonst war ein Regime an der Macht, das es als unabdingbar betrachtete (antisemitische Maßnahmen) auch radikal durchzusetzen.“
Die Rolle von Hitler bewertet Evans demnach als zentral. Den alten Zwist zwischen den Historikern, ob der Holocaust Folge einer sich aufwiegelnden Radikalisierung unter den Dienststellen und NS-Karrieristen war oder eben doch schlichtweg Hitlers Programm, wie es schon in „Mein Kampf“ niedergeschrieben steht, löst Evans recht einsilbig auf. „Adolf Hitler saß am Steuer“, so sein Fazit am ZZF. Hitlers antisemitische, rassistische und eugenische Ideologie habe im Zentrum des NS-Staates gestanden: „Der Krieg war das Ziel.“ Im Mittelpunkt also der vermeintliche Kampf um den Raum für 80 Millionen Deutsche, eng verknüpft mit dem Antisemitismus. Die Führung sei dabei in erster Linie von den NS-Größen ausgegangen – neben Hitler etwa Göring und Ribbentrop. Die Nationalsozialisten erscheinen hier als Gruppe verschworener Fanatiker um Hitler.
Der Bevölkerung attestiert Evans, dass sie in den älteren Generationen noch eine gewisse Resistenz gegenüber dem Nationalsozialismus aufbrachte, während die jungen Generationen durch die Propaganda stärker hinter dem verbrecherischen Regime standen. Beim Novemberpogrom 1938 hätten vor allem Jugendliche und sogar Kinder zugeschlagen. Die Älteren hätten die offene Gewalt zwar abgelehnt, seien aber auch nicht immun gegen das Regime gewesen. Hier spielt für den Briten auch die Repression eine wichtige Rolle: Gewalt als Atmosphäre und Mittel des Aufstiegs.
Evans wendet sich im Gespräch am ZZF gegen die Überbetonung der freiwilligen Mittäterschaft der Deutschen. Im Kapitel zum Polizeistaat werde deutliche, wie zentral die Repression gewesen sei. Er nennt etwa das System der Blockwarte, von denen es schnell über zwei Millionen gab: Der Handlungsspielraum der Menschen sei durch dieses Bollwerk von Spitzelei und Denunziation stark eingeengt worden. Hier pflichtet ihm Jarausch bei: Wozu habe es das System von Terror und Repression bedurft, wenn die Deutschen den Nazis zum Großteil sofort zugearbeitet hätten? Dieser Aspekt gerate heute gerade in jüngeren Untersuchungen viel zu oft aus dem Blick.
Eine weitere These von Evans chronologisch strukturierter Darstellung betrifft die Modernität des NS-Staates. Das System habe sich gerade durch seine Modernität ausgezeichnet: Vom Sozialsystem über die Medien bis hin zur Uniformierung und der Autobahn – man gab sich modern. Wobei die Entwicklung in rasantem Tempo ablief (zwischen Machtergreifung und Kriegsbeginn lagen gerade mal sechs Jahre). Modernität und Tempo habe gerade die jungen Menschen angesprochen: „Kein zurück mehr zu bäuerlicher Vergangenheit“. Wobei Evans hier, wie ein Zuhörer anmerkte, die Zwiespältigkeit des Systems außer Acht lässt: Appellierten die Nazis doch gerade auch an Instinkte, die gegen die Zwänge der Industrialisierung und die aufkommende Moderne der Jahrhundertwende und der Weimarer Republik rebellierten.
Evans arbeitet sich wieder näher an die These der von einer Verbrecherbande missbrauchten Deutschen heran, als an die der willigen Volksmasse. Nicht unbedingt ein innovativer Forschungsansatz, wie gerade deutsche Historiker nun bemängeln. Dennoch hat der Brite einen umfassenden Beitrag zur politischen Erziehung vorgelegt. Bleibt nur zu fragen, welch interessierter Laie 2000 Seiten liest.
Richard J. Evans, „Das Dritte Reich“ . Band 1: Aufstieg (2004). Band 2: Die Diktatur 2006; Band 3 zum Krieg ist in Vorbereitung und erscheint 2007, Deutsche Verlags-Anstalt, ISBN: 3-421-05653-6.
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