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Homepage: „Auf dem Mars ist Gesellschaft anders denkbar“

Der Potsdamer Student Denis Newiak über seine geplante Beteiligung an einer Mars-Mission, seine politischen Ideen und Gänsezüchten auf dem roten Planeten

Stand:

Herr Newiak, was werden Sie Ihren Kindern sagen, wenn Sie 2025 für den Rest Ihres Lebens auf den Mars verschwinden werden?

Nichts, ich habe keine Kinder.

In elf Jahren kann viel passieren.

Ich plane im Moment keine Familie. Ich fühle mich niemandem gegenüber verpflichtet. Wenn sich abzeichnet, dass ich für das Mars-Projekt genommen werde, werde ich mein Leben natürlich auch darauf einstellen.

Denis Newiak (25) ist in die engere Auswahl für eine private Mission zum Planeten Mars gekommen. 2025 könnte er die Erde für immer verlassen, um mit bis zu 40 anderen Menschen auf einer Marsstation zu leben. Ob er tatsächlich für das Vorhaben genommen wird, erfährt er in den kommenden Monaten (siehe auch mars.denis-newiak.de im Internet).

Der Potsdamer studiert Filmwissenschaft im Master an der Freien Universität Berlin und lehrt Publizistisches Arbeiten an der Universität Potsdam. Nebenbei leitet er die Potsdamer Studierendenzeitschrift „speakUP“. Newiak gibt Tanzstunden, jobt als Straßenbahnfahrer und engagiert sich politisch in der SPD.

Ist es so schlimm auf der Erde, dass Sie zum Mars entfliehen müssen?

Wir haben natürlich eine Menge Probleme auf der Erde. Das ist aber nicht der Grund dafür, dass ich auf den Mars will. Für mich hat das Vorhaben eine große politische Dimension. In erster Linie ist es natürlich ein naturwissenschaftliches Projekt, um die Lebensbedingungen auf dem Mars zu erkunden. Aber es schließen sich viele gesellschaftliche Fragen an. Wenn wir unter den grotesken Bedingungen auf dem Mars menschlich leben können ohne Hierarchien, Reichtum und Umweltzerstörung, dann stellt sich die Frage, ob wir das nicht auch auf der Erde können. Das will ich von Anfang an diskutieren.

Was die Zukunft der Erde betrifft, scheinen Sie nicht besonders optimistisch?

Doch. Die Menschheit hat bislang beachtliche Kulturleistungen vollbracht. Aber es gibt auch Dinge, die den Fortschritt behindern. Ich glaube an den Fortschritt, weil er die Lebensbedingungen für die Menschen verbessern kann. Allerdings gibt es viele Faktoren, die den Fortschritt bremsen. Etwa dass der Reichtum sich in den Händen weniger Menschen konzentriert und dass wir unsere eigenen Lebensbedingungen zerstören. Eine Mission wie die auf dem Mars kann neue Perspektiven schaffen.

Welche?

Erst einmal gibt es die klassischen technischen Fragen, wie man unter den sehr schweren Bedingungen auf dem Mars leben kann. Dort kann Leben nur mit minimalen Ressourcen und sehr umweltschonend stattfinden. Hier kann man schnell auf unsere Probleme auf der Erde zurückschließen. Auch hier müssen wir lernen mit Energie sehr effizient umzugehen und sie umweltverträglich zu erzeugen. Auch mit Wasser muss in bestimmten Regionen sehr intelligent gewirtschaftet werden. Hier könnten wir von den Plänen für den Mars lernen.

Und jenseits der technischen Fragen?

Das Experiment kann zeigen, dass Gesellschaft auch anders denkbar ist als auf der Erde. Auf dem Mars werden die Menschen in kleinen Gruppen leben müssen, die alles selbst machen. Da wird es niemanden geben, der die Dienstleistungen erbringt oder jemanden, der das ganze Geld in der Hand hält und die anderen für sich arbeiten lässt. Das wird einfach nicht funktionieren, weil jeder auf jeden angewiesen ist und es eine Form von gemeinschaftlichem Wirtschaften geben muss. Und wenn das selbst unter schwierigsten Bedingungen auf dem Mars möglich ist, sollte hier auf der Erde allemal eine andere Form des Wirtschaftens und Zusammenlebens möglich sein.

Sie meinen also, dass die Menschheit bereits aus den Vorbereitungen des Projekts lernen kann?

Ich sehe das von Anfang an als Chance. Ich bin ein politischer Mensch und das hat mich auch an diesem Projekt überzeugt. Es geht nicht nur darum, auf den Mars zu fliegen, sondern darum, das Vorhaben zu diskutieren. Darüber diskutieren, ob wir uns die Mission überhaupt leisten wollen und können oder welche Risiken bestehen. Aber auch den Schritt zurückzumachen und zu fragen, was das eigentlich über unsere Welt aussagt.

Sie wollen Fehler, die auf der Erde gemacht wurden, vermeiden. Woran denken Sie dabei?

Auf dem Mars wird man eine Umwelt vorfinden, die von Menschen noch völlig unberührt ist. Und dann beginnt man zu überlegen: Welche Maßnahmen müssten getroffen werden, damit nicht die gleichen Probleme auftreten wie auf der Erde. Eine Frage ist beispielsweise, wie die Geräte sterilisiert werden müssen. Denn wenn wir uns wirklich aufmachen, diesen Boden zu betreten, müssen wir wissen, was das für ein Schatz ist. Und wir wollen nicht nur ökologische, sondern auch soziale Fehler vermeiden. Es geht darum, ohne Konflikte und Widersprüche zu leben.

Ist das nicht eine Utopie?

Im Gegenteil. Vor hundert Jahren ist das erste Flugzeug abgehoben, schon ein halbes Jahrhundert später landeten Menschen auf dem Mond. Heute reden wir ernsthaft über die bemannte Mission zum Mars. Diese Dinge sind passiert, weil sie Menschen erdacht und verwirklicht haben. Wer verbietet uns, dass wir in 50 Jahren nicht noch ganz andere, auch gesellschaftliche Wunder erleben? Wenn wir uns heute trauen, ein anderes Zusammenleben zu denken, kann die Belohnung groß sein. Dass wir heute Genossenschaften haben, die günstigen Wohnraum und Ökostrom anbieten, das sind die ersten Vorzeichen davon.

Sie bezeichnen sich als politischen Menschen, als Sozialisten. Gehören Sie dann nicht mitten in die Gesellschaft auf der Erde?

Erst einmal bin ich ja noch mindestens elf Jahre hier und bereit, zu diskutieren. Und auch, wenn ich dort leben würde, könnte ich mich an Diskursen beteiligen, es ist ja eine Live-Übertragung vom Mars geplant. Wir werden zwar physisch dort, aber im wahrsten Sinne des Wortes nicht aus der Welt sein. Wir werden weiterdiskutieren und Bücher lesen können. Alles zwar mit einer Zeitverzögerung und mit anderen technischen Mitteln als heute. Aber das bedeutet ja auch Gesellschaft, dass man versucht, sich anderen Bedingungen anzupassen, damit es einen Fortschritt gibt.

Es würde Sie nicht stören, für den Rest Ihres Lebens beobachtet zu werden?

Es würde mich deshalb nicht stören, weil es nicht als voyeuristische Aktion gedacht ist. Für mich stehen hier ganz andere Dinge im Mittelpunkt. Es geht nicht darum, irgendeine Schaulust von Leuten zu befriedigen, die andere scheitern sehen wollen. Sondern es geht darum, wie man an Wissenschaft partizipieren kann. Und natürlich darum, dass es ein Menschheitsprojekt ist.

Wie groß soll die Gruppe sein?

Geplant ist, dass im Jahr 2024 eine Vierergruppe, zwei Männer und zwei Frauen den Start machen. Dann sollen im Abstand von zwei Jahren jeweils vier weitere nachreisen. Im besten Fall werden dann zwischen 24 und 40 Menschen bis 2045 dort leben.

Die Mission ist als eine Reise auf Lebenszeit gedacht. Haben Sie keine Angst vor einem Gruppenkoller?

Es gibt auch in Brandenburg viele kleine Dörfer, in denen die Menschen friedlich miteinander auskommen. Ich denke, diese Spekulationen, dass wir uns gegenseitig die Köpfe einhauen werden und Anarchie ausbrechen wird, sind nachgeordnete Dinge. Ich würde lieber fragen, was wir eigentlich für groteske Lebensbedingungen hier bei uns auf der Erde haben?

Haben Science-Fiction-Filme Sie begeistert?

Manche Filme haben mich wirklich sehr beeinflusst, „Contact“ zum Beispiel mit Jodie Foster. Meine Zuneigung zur Astrophysik kam aber eher aus der Literatur von Stephen Hawking. Ich fand Physik immer spannend und lese bis heute neben meinem Filmstudium naturwissenschaftliche Literatur.

Wollten Sie als Kind schon ins All fliegen?

Ehrlich gesagt nicht. Ich habe nie davon geträumt, Astronaut zu werden. Heute lese ich zum Beispiel gern über die Erforschung anderer Sonnensysteme und Planeten. Dabei bin ich auf das Mars-Projekt gestoßen. Dann habe ich mit Freunden und der Familie abgewogen, ob ich das machen kann und mich rechtzeitig dafür entschieden.

Suchen Sie die Herausforderung?

Ganz im Gegenteil. Ich experimentiere zwar gerne und probiere Sachen aus. Aber ich mache das nicht, um mir selbst etwas zu beweisen. Ich suche kein Abenteuer, um etwas zu erleben, wie man es von vielen anderen Bewerbern der Mission hört. Es geht eher darum, dass wir uns als Gesellschaft etwas beweisen können. Wenn wir das können, dann können wir noch ganz andere Dinge.

Ein Experte hat ausgerechnet, dass Astronauten nur ein Chance von 30 Prozent haben, lebend auf dem Mars anzukommen. Haben Sie keine Angst vor dem Flug?

Es gibt genauso viele Experten, die gegenteiliger Meinung sind. Dass das Vorhaben Risiken hat, ist selbstverständlich. Aber das Leben an sich ist mit vielen Risiken behaftet. Es geht mir auch mehr um die Frage, ob das Vorhaben bei seriöser Planung nicht wirklich bewältigt werden kann. Dass wir heute nicht einfach losfliegen können, ist klar. Daher auch die lange Planungs- und Ausbildungsphase.

Können Sie kurz vor dem Start noch einen Rückzieher machen?

Das weiß ich nicht. Ich fände es günstig, auch wenn ich es selbst aus meiner derzeitigen Perspektive nicht vorhabe. Ich habe mich dafür entschieden, also will ich es auch machen.

Wie stellen Sie sich das vor, ein Leben ohne blauen Himmel, Gänsebraten und Meeresrauschen?

Schönes Essen werden wir dort auch haben. Wir werden selbst anbauen, das würde man auf der Erde „Bio“ nennen. Natürlich wird es auch mit Verzicht einhergehen. Gänsezüchten wird eher problematisch, wenn nicht unmöglich. Aber man weiß ja nie, was einem vielleicht per Cargofracht zugeschickt wird. Für mich sind die Ziele der Mission wichtiger, als frische Luft schnuppern zu können.

Auch auf die Liebe werden Sie einfach verzichten können?

Das ist nicht zwingend gesagt. Auch in einem Dorf mit 24 Einwohnern verlieben sich die Menschen. Aber die Liebe ist ganz und gar nicht der Anlass, weshalb ich dort hinfliegen will.

Was machen Sie bei Zahnschmerzen?

Eine berechtigte Frage. Alles, was wir dort brauchen, werden wir selbst lernen müssen. Und dazu wird auch gehören, dass mindestens zwei der Passagiere sich auch auf medizinische Versorgung vorbereiten müssen. Genauso wie wir uns in Formen exobiologischer Landwirtschaft oder in Psychologie fortbilden müssen. Wir werden keine Fertiggerichte im Supermarkt kaufen können. So bekommt man ein neues Gefühl dafür, was Arbeit eigentlich bedeutet, was Rohstoffe Wert sind.

Welche Gefühle haben Sie, wenn Sie ein Bild vom Mars sehen?

Das bewegt mich natürlich, weil sich für mich eine lohnenswerte Sache damit verbindet. Aber ich entwickle keine romantischen Gefühle. Der Mars ist für mich ein Symbol, das weit über solche Romantik hinausragen kann.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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