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DICHTER Dran: Auf dem Trockenen

Potsdam wird innerhalb der nächsten vierzig Jahre austrocknen. Das Land versteppt.

Stand:

Potsdam wird innerhalb der nächsten vierzig Jahre austrocknen. Das Land versteppt. Die Seen haben keine längere Existenzdauer mehr als die DDR. So prognostizieren es die Wissenschaftler. Die Havel wird versiegen. Der Heilige See wird zum Sandkasten. Der Streit um den Uferweg am Griebnitzsee löst sich in Luft auf. Wer will für einen Steppenrand noch drei Mio hinblättern? Allerdings will das in diesem verregneten Frühling keiner so recht glauben.

Bis auf die Restaurantbesitzer. Sie sind Potsdams Seher. Sie können in die Zukunft schauen. Sie wissen, dass in vierzig Jahren jeder Tropfen Wasser zählt. Wo man in anderen Gegenden ungefragt zum Essen oder zum Wein eine Karaffe Leitungswasser bekommt, halten sie in Potsdam Haus. Nicht mal das kleinste Gläschen. Manche haben Schilder an die Wände gehängt: Kein Leitungswasser! Wahrscheinlich wollen sie sich nicht ständig „Ham-wa-nicht!“ und „Geht-nicht!“ sagen hören; es klingt zu sehr nach Osten. Die Angst grassiert. Sie ist schon an Orte übergesprungen, die nur entfernt an Potsdam erinnern. Neulich war ich im Billy Wilder’s am Potsdamer Platz. Die Bar war voll. Die Bartender kamen mit Rütteln kaum hinterher. Vom salzigen Popcorn durstig (Salz gibt es im Überfluss!), bat ich um Leitungswasser zum Wein. Auch dort schauten sie mich an, als würde ich ihnen das Grundwasser wegsüffeln. Dass ich den teuersten Bordeaux auf der Karte trank, zählte nicht. Ich war vom Gast zum Dieb geworden. Da man sich im Allgemeinen besser fühlt, wenn äußere und innere Wahrnehmung übereinstimmen, stopfte ich ein leeres Glas in meine schmale Ledertasche und schlich mich aufs Klo: Wasser klauen. Und wenn die Scham einmal überwunden ist, hält einen nichts. Ich hätte nur ein Glas gebraucht, jetzt trank ich vier. Das lässt wirklich Schlimmes befürchten. Mein Beispiel wird Schule machen. Meine Freunde sind von der Lösung schon begeistert. Für den Fall, dass dieser Geheimtip an die Öffentlichkeit gelangt, empfehle ich den Restaurantbesitzern, schon mal einen Münzeinwurf an den Wasserhähnen ihrer Klos zu installieren.

Unsere Autorin Antje Rávic Strubel lebt und arbeitet als Schriftstellerin und Übersetzerin in Potsdam. Für ihren 2007 erschienen Roman „Kältere Schichten der Luft“ erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen.

Antje Rávic Strubel

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