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Das gesuchte Higgs-Teilchen könnte die Forschung des Potsdamer Physikers Axel Kleinschmidt entscheidend vorantreiben
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Über die sinnlich erfahrbare und intellektuell konstruierbare Welt könne letztlich niemand hinausgelangen. Das weiß auch Axel Kleinschmidt. Doch der Forscher weiß auch, dass das Bild einer eindeutig erkennbaren physikalischen Welt auf tönernen Füßen steht. Kleinschmidt ist am Albert-Einstein-Institut in Potsdam (Max Planck Institut für Gravitationsphysik) für die String-Theorie zuständig. Die String-Theorie ist einer der Pfeiler, auf dem die Physik gegenwärtig das Bild der erfahrbaren Welt verankern möchten.
Die noch deutlich umstrittene Theorie bekommt Auftrieb durch Versuche, die unlängst im Forschungszentrum Cern in der Schweiz stattgefunden haben. Forschungsergebnisse des dortigen atomaren Teilchenbeschleunigers legen die Existenz des bisher nur vermuteten Higgs-Teilchens nahe. Wenn das Teilchen existiert und sich zudem in naher Zukunft auch die String-Theorie bestätigen sollte, könnte das Bild der eindeutig erkennbaren und benennbaren physikalischen Welt einen herben Schlag erhalten.
Denn die String-Theorie geht davon aus, dass außer den drei bekannten Dimensionen Höhe, Tiefe, Breite möglicherweise noch eine ganze Reihe anderer Dimensionen existieren. Die wären dann allerdings mit menschlichen Sinnesorganen nicht erfahrbar. Der Nachweis ihrer Existenz war bisher im wesentlichen ein mathematisches Planspiel im Rahmen der String-Theorie.
Die Möglichkeit weiterer Dimensionen erläutert Kleinschmidt an einem Beispiel: „Stellen Sie sich eine Wäscheleine vor, auf die sie von Weitem schauen. Sie sehen nur die gerade verlaufende Linie. Daher erscheint ihnen die Leine als Strich, Sie nehmen nicht wahr, dass die Leine einen kleinen Durchmesser hat. Wenn sich aber beispielsweise ein Glühwürmchen kreisförmig um die Leine herum bewegt, sehen Sie ein blinkendes Licht, je nachdem ob sich das Glühwürmchen auf der ihnen zugewandten Seite befindet oder nicht. Durch das Blinken können Sie Rückschlüsse auf die Form und Ausdehnung der Ihnen zunächst verborgenen Durchmesserdimension der Wäscheleine ziehen.“
Kleinschmidt untersucht bei seiner Arbeit im Einstein-Institut aber keine Wäscheleinen. Im wesentlichen ist der Physiker damit beschäftigt, mathematisch basierte Rechenmodelle zu entwerfen. Deren Plausibilität überprüft er mit Hilfe von Computer gestützten Operationen. „Mein Handwerkszeug sind Papier und Bleistift“, stellt Kleinschmidt fest. Einen Unterschied zur reinen Mathematik sieht der Physiker dennoch. „Wir erstellen gelegentlich Modelle, bei denen Mathematiker die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, aber wenn es dann im Versuch funktioniert, ist die Gleichung doch richtig.“ So hat der Forscher bereits ein physikalisches Modell entwickelt, das auf der Quantenmechanik basiert und die Entwicklung von Massen und Energien dorthin zurückverfolgen kann, wo sie beim „Urknall“ in einem mikroskopisch kleinen Punkt konzentriert waren. „Bewiesen ist das noch nicht, aber man kann mit dem Modell die Entwicklung des Universums erst einmal wie einen Film rückwärts laufen lassen.“
Weil es bisher eher eine Frage des Glaubens war, wie die Welt beschaffen und errichtet ist, entspann sich zwischen dem Physiker Kleinschmidt und dem Religionswissenschaftler Johann Hafner bei einer Veranstaltung der Potsdamer „Science Caffé“-Reihe unlängst eine Diskussion darüber, wie zuverlässig das menschliche Wissen von der Welt überhaupt sein kann. Hafner vertrat dabei die These, dass die Physik sich stets von einem Baustein der Erkenntnis zum nächsten hangele und es ohnehin nicht gelinge, ein vollständiges Bild zu erhalten. „Wenn Forschungsergebnisse letztendlich darauf hinauslaufen lediglich Ableitungen aus Prüfdaten zu ziehen und nicht vollständig beweisbar sind, nähern sich physikalische Theorien den Gewissheitsgraden von Glaubenssätzen“, stellt Hafner fest. Zudem gingen auch viele Religionen, ähnlich wie die Kosmologie, von einem mehrschichtigen Welten- und Himmelsmodell aus: „Eigentlich heißt es Vater unser in den Himmeln“, so Hafner. Kleinschmidt vertritt dagegen die Position der letzten Gewissheiten in der Physik: „Wesentlich für praktische Zwecke ist es, dass das Wirklichkeitsmodell stabil ist und die darauf basierenden Modelle überprüfbare Vorhersagen machen. Wenn es sich herausstellt, dass das Higgs-Teilchen existiert, ist das eine weitere Bestätigung unseres umfassenden physikalisch fundierten Weltbilds.“
Letztlich sei die Physik bestrebt, die verschiedenen Theorien, auf denen sie basiere, zu einer umfassenden Formel zusammenzubauen. Elektromagnetische Kräfte, atomare Teilchen, und Auswirkungen der Gravitationskraft stünden bisher teilweise unverbunden nebeneinander. Das Higgs-Teilchen könnte ein Baustein sein, um die verschiedenen Säulen der Physik zu verbinden. „Das ist dann immer noch keine Weltformel, aber es lässt die Vorstellung von der Welt plausibler erscheinen“, stellt der Physiker Kleinschmidt fest. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
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