Landeshauptstadt: Auf der Suche nach Gallerttränen und Judasohren
Pilze sammeln ist angesagt: Am Wochenende trafen sich rund 50 Potsdamer zur Exkursion mit Experten
Stand:
Nasses Laub, kühle Luft, Regen – echte Pilzsammler lassen sich von ungemütlicher Herbstwitterung nicht beeindrucken. „Pilzleute sind bei jedem Wetter unterwegs“, sagt Wolfgang Bivour, der Vorsitzende des Landesverbandes der Pilzsachverständigen. Der Zuspruch zur letzten von drei Pilz-Exkursionen des Verbandes in diesem Jahr sollte ihm recht geben: Trotz der Witterung versammelten sich am Samstagmorgen rund 50 Teilnehmer am Rande des Katharinenholzes in Bornim, um Ausschau nach Hallimasch und Co. zu halten. Neben Holzkörben in allen Größen und Formen trugen manche der Sammler hüfthohe Gummistiefel.
Trotz des deutlichen Pilzgeruchs, den man durch den Moderduft des Waldes wahrnehmen kann, dämpft Exkursionsleiter Bivour gleich die Erwartung der Umstehenden: „Vermutlich werden wir heute mehr Pilze suchen als finden.“ Denn eigentlich, so der 63-jährige Potsdamer, sei die Saison mittlerweile vorbei. Dazu kam die warme Witterung der letzten Oktoberwochen und der starke Wind, der viele Pilze beschädigt habe. Allerdings sei das Pilzjahr insgesamt sehr gut gewesen, so Bivour: „Es fing erst spät an, etwa Mitte September, doch es gab sehr viele Steinpilze und Maronen. Das Pilzjahr war also kurz, aber richtig gut.“
Die Stimmung unter den Anwesenden ist familiär, es werden Neuigkeiten, Anekdoten und Fachsimpeleien ausgetauscht. „Den hast du noch bestimmt nie gesehen!“, meint einer der Pilz-Experten und zeigt seinem Kollegen eine Plastiktüte mit einem kleinen Holzstück, auf dem ein Rindenpilz sitzt. Viele der Anwesenden sind Männer, über 50 und Verbandsmitglieder. Aber auch einige jüngere Potsdamer haben sich angeschlossen. Und manche sind auch des Berufs wegen dabei. „Ich würde mich freuen, wenn sie gefundene Gallerttränen, Hörnlinge oder Judasohren bei mir abgegeben könnten“, sagt Volker Kummer in die Runde – der wissenschaftliche Mitarbeiter des Institutes für Biochemie der Universität Potsdam braucht die Pilze als Lehrmaterial für seine Studenten.
Langsam setzt sich der Tross in Bewegung und verteilt sich im Katharinenholz. Schnell wird deutlich, dass die Gummistiefelträger klar im Vorteil sind, denn der Waldboden ist komplett mit nassem Laub bedeckt, was auch das Entdecken von Pilzhüten stark erschwert. Wobei die Pilzexperten keineswegs nur nach Hutpilzen suchen, sondern auch nach Gebilden wie Rinden- oder Krustenpilzen – rund 4 000 Pilzarten gibt es in Brandenburg. „Wir sammeln alles, was pilzfloristisch interessant ist, zum Beispiel für Ausstellungen oder um die Kenntnis über die Artenvielfalt zu erweitern“, erklärt Bivour, nachdem er einen weißlichen Schichtpilz von einem morschen Holzstamm geschabt hat. „Ich sammle natürlich auch mal was zum Essen“, fügt er an.
Bivours Lieblingsspeisepilz ist allerdings nicht der begehrte Steinpilz, sondern der flockenstielige Hexenröhrling: „Der sieht gut aus, schmeckt gut und ist fast nie madig.“ Im Katharinenholz überwiegen jedoch Ritterlinge, Hallimasch und Nebelkappen, die am Weg entlang der preußischen Schießstände zwischen den Bäumen wachsen.
Typische Giftpilze wie Fliegenpilze oder Grüne Knollenblätterpilze sind hingegen kaum zu sehen. Wegen Letzterem erreichte Bivour jüngst ein Notruf: „Ein Paar dachte, ihr Kind hätte vielleicht etwas vom Grünen Knollenblätterpilz gegessen, da musste ich natürlich sofort los!“ Zum Glück war dem nicht so, doch immer wieder erhalten die Pilzberater Anrufe von besorgten Eltern oder Erzieherinnen, wenn Kinder Pilze verzehrt haben.
Bivour, der von Kindesbeinen an Pilze sammelt, hatte selbst noch nie eine Vergiftung, weiß aber von etlichen Fällen, in denen Verwechslungen tatsächlich unangenehme oder sogar tödliche Folgen nach sich zogen: „Vor der Wende wurde häufig der essbare Perlpilz mit dem giftigen Pantherpilz verwechselt. Das war eine Standardvergiftung, von der fast immer Sachsen betroffen waren. Die kannten den Pantherpilz nicht, da er bei ihnen im Gebirge nicht wächst.“ Es gibt auch Pilze, die erst seit Kurzem als giftig gelten, zum Beispiel der Grünling, der in Frankreich zu einigen Todesfällen geführt hatte. „Aber die Leute, denen das passiert ist, haben auch regelrechte Grünling-Orgien gehalten“, schränkt Bivour ein.
Die Pilzsammler passieren die Düsteren Teiche, die ihrem Namen an diesem trüben Tag alle Ehre machen, und machen sich auf den Rückweg. „Wenn die ganzen Blätter runter sind, sieht alles ganz anders aus“, findet Bivour. Verlaufen habe er sich aber noch nie, er habe sein eigenes „GPS im Kopf“. Einen Hexenröhrling konnte Bivour zwar nicht finden, dafür aber einen sehr seltenen Igel-Stachelbart. Auch die anderen Kollegen sind nicht mit leeren Händen zurückgekehrt, anerkennend inspizieren die Pilzexperten die Funde ihrer Mitstreiter.
Die Zahl der Teilnehmer zeigt, dass Pilze sammeln keinesfalls aus der Mode ist: „In den letzten Jahren hat es leicht zugenommen“, sagt Bivour: „Es gibt den Trend, sich mehr aus der Natur zu versorgen. Außerdem kommen immer mehr Leute, die gerne neue Pilze kennenlernen wollen.“ Was den Pilzfreund ebenfalls freut, ist, dass sich der Naturschutzgedanke immer mehr durchgesetzt hat: „Zu meiner Zeit wurde mit den Pilzen noch viel ‚Fußball gespielt', das war ganz normal damals. Heute sieht man kaum noch umgetretene Pilze“, sagt Bivour.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: