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ZZF-Workshop zur Jugendgewalt im Film
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1955 konfrontierte der Regisseur Nicholas Ray die US-amerikanische Gesellschaft mit den Zukunftsängsten, der Orientierungslosigkeit und der Rebellion einer ganzen Generation. Sein Film „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ wurde auch in Deutschland zum Erfolg. Wie sehr Filme die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Jugend spiegeln, ist Thema eines Workshops, den das Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam am Donnerstag ausrichtet. Im Fokus steht die Darstellung von Jugendgewalt in west- und osteuropäischen Filmen der 1950er- bis 1980er-Jahre.
„Die Entwicklung einer eigenen Jugendkultur setzte erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein“, sagt Christoph Classen, Historiker am ZZF und Leiter des Workshops. Die Entwicklung der Konsumgesellschaft und der audiovisuellen Medien habe diese geprägt. „Sie war Ausdruck einer Auseinandersetzung mit den veränderten Werten.“ Manche Filme bildeten diese Auseinandersetzung ab, andere schoben sie an. „Spielfilme und Serien wurden von der Forschung lange nicht ernst genommen“, sagt Classen. Das ZZF will diese Lücke nun schließen.
Historiker, Filmwissenschaftler und Politologen befassen sich in dem Workshop mit dem Wertewandel der 1950er- bis 1980er-Jahre sowie der filmischen Auseinandersetzung mit der Jugend. In den 50er-Jahren verstanden sich Jugendliche erstmals als eigene Gruppe mit eigener Kultur. Massenmedien und US-amerikanische Musik spielten eine wichtige Rolle. „Die Filme oszillierten zwischen Faszination und moralischer Verurteilung“, so Classen. In den 60er-Jahren war in vielen Filmen der Wandel gesellschaftlicher Normen und Werte ein wichtiges Thema. Umweltkatastrophen, der Kalte Krieg und Spionage standen im Vordergrund.
Die Wirkung der Filme war oftmals weder vorhersehbar noch erwünscht. In dem Defa-Film „Die Glatzkopfbande“ von 1963 wird eine gefährliche und rücksichtslose Rockerbande gezeigt, die Urlauber an der Ostsee terrorisiert. Classen: „Das sollte eigentlich abschreckend wirken, faszinierte aber viele Jugendliche in der DDR so sehr, dass diese dann versuchten, die Rocker nachzuahmen.“ Jugendliches Fehlverhalten als Ergebnis westlichen Einflusses habe in den 1960er- und 1970er-Jahren die Filme der DDR dominiert, so Classen. Danach habe eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Westen eingesetzt, die auch konstruktive Kritik zuließ und den Alltag stärker thematisierte. Deutlich sei das zum Beispiel in „Solo Sunny“ von Konrad Wolf aus dem Jahre 1980 geworden, einem in Ost und West vielfach ausgezeichneten Film, der jugendliche Identitätsprobleme darstellte.
Während im Osten Filme zur Jugendgewalt als Teil der politischen Auseinandersetzung mit dem Kalten Krieg verstanden wurden, sollte Jugendgewalt in westeuropäischen Filmen oft vor allem Zuschauer in die Kinos locken. Wie sehr die Darstellung von Jugendgewalt eine Gesellschaft aufwühlen konnte, zeigten die Reaktionen auf Kubricks „A Clockwork Orange“ von 1971. In den USA gehörte der Film zu Kubricks größten kommerziellen Erfolgen. In Großbritannien löste die schockierende Darstellung scheinbar unmotivierter Gewaltexzesse eine Debatte aus, mit der auch Kubrick nicht gerechnet hatte: Er ließ die Aufführung des Films kurz nach dem Kinostart stoppen, um sich vor Anfeindungen zu schützen. Maren Herbst
Der öffentliche Workshop findet am Donnerstag, 11. April, von 14 bis 18 Uhr im ZZF (Am Neuen Markt 9d) statt.
Maren Herbst
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