Erinnerungen an die Pädagogische Hochschule Potsdam: Auf die Schüler losgelassen
Lehrerstudium vor 58 Jahren: Passende Methodik, praktische Probestunde und ab in die Schule.
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Josef Drabek, 1939 in Böhmen geboren, studierte von 1958 bis 1962 an der Pädagogischen Hochschule Potsdam, dem Vorläufer der heutigen Potsdamer Universität. Derzeit schreibt Drabek seine Erinnerungen „Von Böhmen nach Brandenburg. Wege zwischen Weltkrieg und Wende“, deren erster und zweiter Teil vorliegt. Der dritte Teil zu Brandenburg beginnt mit der Studienzeit. Auszüge daraus erscheinen in den PNN.
Für unsere künftigen Schulfächer als Lehramtsstudenten wurde passende Methodik durch die zum jeweiligen Institut gehörende Abteilung vermittelt. Leiterin der Methodik des Deutschunterrichts war Professor Dorothea Hujer, „die Dora“, die Vorlesungen hielt und Prüfungen abnahm. Der schulpraktische Part lag in Händen von Assistenten oder wissenschaftlichen Mitarbeitern, darunter eine mit dem exotischen Vornamen Oceana und unsere mütterliche „Minnehaha“ (siehe PNN vom 17.12.2014). Jeweils eine Gruppe zog zur Straße der Jugend (heute Kurfürstenstraße) in die nach Sponsor Eisenhart benannte Einrichtung, die 1949 den Status einer „Fakultätsschule“ erhalten hatte, wo ab 1951 Studenten der PH unter Anleitung Unterrichtsstunden erteilten. 1959 fasste man den Jungen- und Mädchenteil zur Oberschule 5 zusammen, an der unsere Betreuerin in einer 7. Klasse eine Musterstunde hielt, bevor wir auf Schüler losgelassen wurden.
Das Thema meiner praktischen Probestunde war Theodor Storms naturlyrisches Gedicht „Die Stadt“, eine liebevolle Beschreibung seines Geburtsortes Husum, den der patriotische Dichter verlassen musste, um in Potsdam unter ärmlichen Verhältnissen zu arbeiten. Vor diesem Hintergrund wurden Erinnerungen an „der Jugend Zauber“ für die reine Mädchenklasse gut nachvollziehbar. Die Mitarbeit der Teenager war überwältigend, vielleicht auch weil ich ihnen interessant schien, sodass die Thematik nach 30 Minuten abgearbeitet und die restliche Zeit durch wiederholtes Lesen des Gedichts zu Ende gebracht wurde. „Minnehaha“ fand das ihrer Marotte entsprechend „ganz hübsch, ha, ha, ha“, meinte aber, dass man immer Reserven haben sollte, hier beispielsweise die Potsdamer Wohnadressen des Dichters und seine „lokalpatriotische Husumerei“.
Der Einsatz für das Schulpraktikum in Deutsch hätte am Wohnort der Eltern erfolgen können. Aber da dort jeder jeden kannte, wollte ich mir das nicht antun. Also wählte ich das benachbarte Städtchen, in dem ich die Mittlere Reife abgelegt hatte und mein damaliger Klassenleiter und Deutschlehrer als Mentor zur Verfügung stand. Unter seiner Leitung führte ich in einer 7. Klasse den Deutschunterricht durch, fertigte Stoffverteilungsplan und Stundenvorbereitungen an, hospitierte in der Klasse und bei anderen Deutschlehrern. Das klappte gut, weil der Pädagoge half und Einblicke in seine Klassenleitertätigkeit bot. Zum Ende nahm „die Dora“ eine Rechtschreibstunde als Prüfungslektion ab, deren Auswertung aber erst anderntags erfolgte. Also musste ich eine Nacht bangen, bis das „Gut“ feststand.
Für Geschichtsmethodik war Dr. Bruno Gentner zuständig, der im Krieg einen Arm verloren und sich als Lehrer bewährt hatte. Danach promovierte er mit dem Thema „Entwicklung des Geschichtsunterrichts und der Geschichtsmethodik in den allgemeinbildenden Schulen Preußens 1800–1848“. Als Praktiker legte er Wert auf Selbsttätigkeit der Schüler und Anschaulichkeit des Unterrichts, nicht zuletzt durch audiovisuelle Lehrmittel. Dazu zählten Schmalfilmapparat, Dia-Bildwerfer, Polylux, Plattenspieler und ein im VEB Schwermaschinenbau Magdeburg hergestelltes, 13 Kilogramm schweres Tonbandgerät. Solche voluminöse Vorführtechnik erklärte ein Mitarbeiter des Instituts für Pädagogik, den wir „Professor Flimmrich“ nannten, in Anlehnung an den Potsdamer Schauspieler Walter E. Fuß, der ab 1959 im DDR-Fernsehen Kinderfilme vorführte.
Für das Praktikum in Geschichte wurde mir die Stadt Brandenburg zugewiesen, die im Lehrlingswohnheim des neuen Stahlwerks Logis bot. Von dort ging es in die Neustadt zu einem backsteinernen Schulgebäude, wo ich den Geschichtsunterricht einer 8. Klasse übernahm. Zu behandeln war die gesellschaftliche Lage in Deutschland am Vorabend der bürgerlich-demokratischen Revolution, das Leben der Proletarier und die Entwicklung der Arbeiterbewegung bis zum „Bund der Kommunisten“. Dessen „Manifest der Kommunistischen Partei“ war Gegenstand meiner Prüfungslektion, abgenommen von Hans-Georg Treichel, der nach Maurerlehre, Lehrgang zum Unterstufenlehrer, ABF-Sonderreifeprüfung und Oberstufenlehrerstudium 1960 Assistent in der Geschichtsmethodik geworden war. Er sah eifrige Schüler, die über Klassenkämpfe Bescheid wussten und die Lage der Proletarier am Beispiel von Heinrich Heines Gedicht „Die schlesischen Weber“ anschaulich kannten. Der Prüfer war zufrieden, aber weil ich die „revolutionären Schlussfolgerungen“ nicht genügend herausgearbeitet hätte, gab es nur ein „Gut“.
Neben der positiven Note gab es aber noch ein negatives Nachspiel. Am Abreisetag begleiteten mich Schülerinnen zum Bahnhof, von denen eine für das Gruppenbuch mein Foto erbat. Das zugeschickte Bild hat sie allerdings privat vereinnahmt und den Mitschülerinnen als das ihres „Freundes“ gezeigt, was große Unruhe in die Klasse brachte. Daher musste ich nach Brandenburg fahren und die Angelegenheit klären. Draus zog ich die Lehre, als junger Lehrer immer Distanz zu Teenagerinnen zu wahren.
Josef Drabek
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