Von Jana Haase: Auf Spurensuche
Nach 21 Jahren radelt Oscar-Preisträgerin Tilda Swinton zum zweiten Mal die Mauer ab – diesmal auch in Potsdam
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Babelsberg – Verloren wirkt die weißblonde Frau am Straßenrand, eine einfache Feder schmückt ihren Hinterkopf. Nichts lässt vermuten, dass es sich bei der schmalen Gestalt in dunkelblauer Sportkleidung, die zur Mittagsstunde mit ihrem silbergrauen Diamant-Rad vor der Stalin-Villa in der Karl-Marx-Straße Halt macht, um Tilda Swinton handelt. Nichts, bis auf diese Vogelfeder, ein bizarres Detail, wie es die eigenwillige schottische Schauspielerin liebt.
Und tatsächlich war es die Oscar-Preisträgerin („Michael Clayton“) und diesjährige Berlinale-Jurypräsidentin, die Potsdam in dieser Woche als melancholische Stadtindianerin mit dem Fahrrad erkundete und dabei auch die Villenkolonie Neubabelsberg besuchte, wo früher Filmstars wie Heinz Rühmann, Brigitte Horney und Marika Rökk zuhause waren. Die 48-jährige Swinton, die ihren Ruf als Ausnahmetalent 1992 mit der Hauptrolle in der Literaturverfilmung „Orlando“ begründete und derzeit als extrovertierte Kinofanatikerin in Jim Jarmuschs Film-Rätsel „The Limits of Control“ zu sehen ist, war drei Tage lang auf den Spuren der Mauer in der Landeshauptstadt unterwegs – gemeinsam mit Regisseurin Cynthia Beatt. Bereits am Mittwochabend hatten Swinton und das siebenköpfige Filmteam mit dem Potsdamer Wassertaxi von Sacrow zur Glienicker Brücke übergesetzt. Ohne Ticket, wie Flottenchef Jan Lehmann berichtete: „Eine Oscar-Preisträgerin hat man ja nicht alle Tage an Bord!“ Gedreht wurde auch an der Heilandskirche, in Kleinglienicke und in Steinstücken.
Noch bis Ende Juni radelt Tilda Swinton mit Cynthia Beatt eine Strecke ab, die die beiden Freundinnen vor 21 Jahren zum ersten Mal zusammen zurücklegten: Für die SFB-Dokumentation „Cycling the frame“ waren sie 1988 160 Kilometer entlang der Berliner Mauer geradelt. Im 20. Jahr nach dem Mauerfall sind sie jetzt wieder auf Spurensuche an der verschwundenen Grenze. „Es kommt mir so vor, als ob die Mauer heute viel präsenter ist als damals“, sagte Tilda Swinton während der Dreharbeiten: „Jetzt kann man nicht nur sehen, wo sie stand, sondern auch, was sie auseinandergerissen hat.“
Swinton, die heute zu den weltweit gefragtesten Schauspielerinnen zählt, für die Neuauflage des Low-Budget-Projektes zu überreden, sei nicht schwierig gewesen, erzählte Regisseurin Cynthia Beatt den PNN: „Ich habe gefragt und sie hat sofort zugesagt.“
„Cycling the invisible frame“ soll der neue Film heißen, produziert wird er von der Berliner Filmgalerie 451, gefördert auch vom Medienboard Berlin-Brandenburg. Die 45-Minuten-Dokumentation soll am Vorabend des Jahrestages der Maueröffnung, am 8. November 2009, auf 3Sat ausgestrahlt werden.
An der Stalin-Villa fällt jetzt die letzte Klappe: „Ok, Tilda, go!“, ruft Cynthia Beatt ihrer Hauptdarstellerin vom offenen Kamerawagen aus zu. Die nachdenkliche blonde Frau steigt auf ihr Rad und biegt nach wenigen Metern um die Ecke. Auf dem Zugangsweg zum Griebnitzseeufer ist das Catering bereits aufgebaut.
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