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Sport: Aufstieg im Flachland

Für die Schweizerin Lia Wälti war das erste Jahr in Potsdam eine harte Schule. Jetzt ist sie Turbines Kapitänin

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„Die Berge fehlen mir manchmal“, sagt Lia Wälti und schaut auf die Potsdamer Havel, auf der die Nachmittagssonne glitzert. Dennoch ist die Schweizerin ins märkische Flachland gekommen, um hier neue Höhen zu erklimmen. In der noch jungen Fußballkarriere der 21-Jährigen ist der 1. FFC Turbine Potsdam mit seinen nationalen und internationalen Erfolgen genau der richtige Verein, um den eigenen Steckbrief mit dem Gewinn von Titeln zu dekorieren. Im ersten Anlauf allerdings hat das noch nicht geklappt.

Vor einem Jahr holte der erfahrene Turbine-Trainer Bernd Schröder die junge Eidgenössin nach Potsdam – nach nur einer Saison erweitert er ihr Aufgabenspektrum: Als neue Kapitänin wird Wälti am Sonntag die Turbine-Elf zum Liga-Start gegen den Herforder SV auf den Rasen des heimischen Karl-Liebknecht-Stadions führen (14 Uhr). „Eine Ehre“, sagt Wälti – und ein schwieriges Amt zugleich. Denn einmal mehr hat Schröder das Mitspielen um Meisterschaft und Pokal zum Saisonziel erklärt. Nach Platz drei in der vergangenen Spielzeit, womit die Potsdamer in der Champions League nur Zaungast sind, bläst der 72-Jährige gewohnt Attacke – und erwartet dabei von Wälti Führungsqualitäten. „Im Moment fühle ich mich noch nicht so, wie sich eine Kapitänin vielleicht fühlen sollte“, sagt Wälti. Doch Schröder sagt: „Das muss sie lernen.“

Dass Turbine eine harte Schule ist, hat Lia Wälti in ihrer ersten Saison deutlich zu spüren bekommen. Nicht nur wegen des intensiven und umfangreichen Trainings unter Schröders Regie, der während einer fünfwöchigen Saisonvorbereitung seinen Spielerinnen bis zu 100 Trainingseinheiten abverlangt. „Daran habe ich mich gewöhnt", sagt Wälti. Viel härter war indes die Lektion, die sie mit der Mannschaft im vergangenen Saison bekommen hat. Der DFB-Pokal hatte sich für Potsdam bereits in der zweiten Runde erledigt. Gegen den Liga-Rivalen und späteren Cup-Gewinner Wolfsburg schied Turbine im Halbfinale der Champions League aus. Und an den drei finalen Spieltagen in der Bundesliga verspielte die Elf nicht nur den möglichen Titel, sondern auch die erneute Teilnahme in der europäischen Königsklasse. Schröders Fußballerinnen standen im Tal der Tränen statt auf dem Gipfel.

Für Lia Wälti waren das neue Erfahrungen. „Vor allem das verlorene Halbfinale in Wolfsburg war lange in meinem Kopf. Das war nicht so einfach zu vergessen“, sagt sie. Nach ihren beständig nach oben führenden Stationen vom FC Langenau, wo sie bei ihrem Vater als Achtjährige mit dem Fußballspielen begann, über den FC Köniz und die Young Boys Bern erlebte sie ausgerechnet beim erfolgreichen 1. FFC Turbine Potsdam das Gefühl, am Boden zu sein. Mit ihrem Wechsel von der wenig beachteten Schweizer Nationalliga A in die 1. Frauen-Bundesliga wuchs auch die Fallhöhe. „Zum ersten Mal spürte ich den Druck in einem Umfeld, in dem nur Titel zählen“, sagt sie. „Und als wir alles verspielt hatten, wusste ich nicht so recht, wie ich aus dem Tief rauskommen kann“, sagt sie. Vor allem habe ihr die Sprachlosigkeit im Moment der Niederlage ein Gefühl der Ohnmacht vermittelt. Mit- und füreinander nicht die richtigen Worte zu finden, sei quälend lang gewesen. Heute, mit dem gewonnenen Abstand, nennt Wälti Spiele wie das in Wolfsburg ein „wichtiges Ereignis, bei dem ich lernen kann, wie man mit Niederlagen umgeht“.

Für Schröder ist die Schweizer Nationalspielerin, die frühzeitig ihren Vertrag bei Turbine um zwei weitere Jahre verlängert hat, in der vergangenen Saison enorm gereift. „Ihre Art, Fußball zu spielen, ist sensationell“, schwärmt er. In der Rückrunde zog er sie von der linken Abwehrseite auf die Sechser-Position. „Dort spiele ich am liebsten“, sagt Wälti. Sie mag es, dass Spielfeld vor sich zu haben. „Auf der linken Seite hat mir gefehlt, in beide Richtungen zu spielen und den Ball verteilen zu können“, sagt sie. Mit der Position des Ballverteilers verbinde sie einen Teil ihres Wesens: „Ich gebe gern, bin überhaupt nicht egoistisch.“ Und sie habe die nötige Ruhe, um die beste Option zu finden. „Wenn ich den Ball habe, ruhe ich in mir selbst“, sagt sie.

Die neue Bundesliga-Saison wird für Wälti auch eine Wiedersehenstour mit der Schweizer Frauen-Nationalmannschaft. Neben ihr wechselte in den vergangenen zwei Jahren mehr als ein halbes Dutzend Nationalspielerinnen zu deutschen Erstliga-Vereinen. Mit Blick auf die Fußball-Weltmeisterschaft 2015 in Kanada, für die sich die Schweiz qualifiziert hat, sagt Wälti: „Es ist gut, dass viele aus der Nationalmannschaft im Rhythmus der Bundesliga spielen“, sagt Wälti. Für sie war der Schritt von den Young Boys Bern nach Potsdam nur konsequent: „Ich wollte sehen, ob ich mithalten kann, ob ich es schaffe“, sagt sie.

Dass Turbine in dieser Saison im Kampf um die Meisterschaft mithalten kann, ist Wältis volle Überzeugung. „Wir sind als Team gereift“, sagt sie. Und es gebe keine Stars in der Mannschaft. „Kann gut sein, dass ein einzelner Spieler mal ein Spiel entscheidet. Aber für eine Meisterschaft braucht man ein Team“, sagt sie. Dass sie dieses führen wird, ist ein Aufstieg im flachen märkischen Land.

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