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Vietnam im Kirchsteigfeld. Nguyen van The (r.) und seine Frau Hoang thi Ly betreiben das Asia-Bistro am Marktplatz im Kirchsteigfeld. Seit neun Jahren leben sie mit ihrem Sohn Kim und ihrer Tochter Phùóng in Potsdam-West.

© Manfred Thomas

Von Heike Kampe: Augen zu und durch

Der vietnamesische ehemalige Vertragsarbeiter Nguyen van The hat 1990 sein Schicksal in die eigenen Hände genommen. Heute ist er Besitzer eines Asia-Bistros im Potsdamer Kirchsteigfeld

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Hoang thi Ly hat ihr langes schwarzes Haar zu einem Zopf gebunden. Wie jeden Nachmittag hilft die 36-Jährige ihrem Mann The im Asia-Bistro, das die Familie im Kirchsteigfeld betreibt. Gerade ist wenig los. Zeit zum Plaudern mit „Oma“ Schulze, die an einem der mit bunten Kunstblumen und roten Decken dekorierten Tische sitzt. An der Decke hängen Lampions mit Drachenzeichnungen, im Regal hinter der Theke stehen asiatische Teedosen aus Porzellan. Hoang thi Ly ist eine von etwa 400 Menschen in Potsdam, die ihre Wurzeln in Vietnam haben. Seit neun Jahren lebt die Mutter zweier Kinder mit Ehemann Nguyen van The in Potsdam-West.

Hoang thi Lys Mann kam Ende der 1980er Jahre als einer von etwa 60 000 vietnamesischen Vertragsarbeitern in die DDR. 1987 verließ Nguyen van The sein Heimatland, um in Meißen zu arbeiten. 22 Jahre alt war er damals. Die Vorbereitung auf die neue Arbeit und das neue Land war kurz: Nur einen Monat dauerte der Sprach- und Einführungskurs für die Vertragsarbeiter. Danach arbeitete Nguyen in einer Schuhfabrik in Meissen, acht Stunden am Tag, in drei Schichten. Untergebracht waren er und seine Kollegen in einem Großenhainer Wohnblock. Hier teilten sich acht vietnamesische Arbeiter eine Neubauwohnung mit drei Zimmern. Ein Wachmann kontrollierte den Wohnblock, der ausschließlich Vertragsarbeitern als Unterkunft diente.

Die Bedingungen für die Vertragsarbeiter waren nicht einfach. Zwischen den beiden sozialistischen Bruderländern DDR und Vietnam war vertraglich vereinbart, dass zwölf Prozent des Arbeitslohnes einbehalten und direkt an die vietnamesische Regierung überwiesen wurden. Ebenso enthielt der Vertrag die Klausel, dass Vietnamesinnen im Falle einer Schwangerschaft in die Heimat zurückkehren oder sich gegen ihr Kind entscheiden mussten. Der Aufenthalt in der DDR war auf vier oder fünf Jahre begrenzt. In dieser Zeit durften die Arbeiter einmalig Urlaub in der Heimat machen. Trotz dieser rigiden Bestimmungen lohnte es sich, in der DDR zu arbeiten. Das verdiente Geld kam meist der daheimgebliebenen Familie zugute. Nach Ende der Vertragszeit sollten die Arbeiter in die Sozialistische Republik Vietnam zurückkehren. Eine Integration in die Gesellschaft war nicht vorgesehen.

Doch für Nguyen van The und viele seiner Landsleute kam mit dem Untergang der DDR alles anders. Heute steht der schmale Mann mit den vielen Lachfalten hinter der Theke seines Bistros und bedient die Kunden, die Frühlingsrollen oder gebratene Nudeln bestellen. Meistens zum Mitnehmen. Nach der Wende begann für ihn eine ungewisse Zeit mit vielen wechselnden Arbeitstellen und Zeiten der Arbeitslosigkeit. Reinigungskraft, Koch, Küchenhilfe, Gärtner oder Arbeiter im Betonwerk – Nguyen van The hat sich mit allen möglichen Arbeiten über Wasser gehalten. Die Stationen auf seinem Weg waren Coswig, Celle, Oldenburg, Wustermark und Rathenow.

Eine ähnliche Odyssee hätten nach der Wende viele ehemalige Vertragsarbeiter durchgemacht, erzählt Hai Blum, die den Verein „Song Hong“ in Potsdam leitet. Dessen Ziel ist es, „Hilfe zur Selbsthilfe“ für Menschen vietnamesischer Abstammung zu leisten und die kulturelle Identität zu erhalten. „Augen zu und durch“ sei das Motto 1990 gewesen, als die meisten Vertragsarbeiter arbeitslos wurden und nicht wussten, was sie im wiedervereinigten Deutschland erwartet, so Hai Bluhm. Sie schätzt, dass etwa 80 Prozent der Vietnamesen in die Heimat zurückgekehrt sind. Die Übrigen schlugen sich durch, ihr Aufenthaltsstatus war unbestimmt, die Unsicherheit groß.

Mittlerweile haben die ehemaligen Vertragsarbeiter, die in Deutschland geblieben sind, Familien gegründet. Hoang thi Ly und Nguyen van The heirateten 2001. Ein Jahr später wurde Sohn Kim geboren. Seine kleine Schwester Phùóng wird in diesem August eingeschult. Nach der Schule und dem Kindergarten sind die Kinder meist bei den Eltern im Bistro, machen dort ihre Schularbeiten, malen oder fahren draußen mit dem Fahrrad. Hoang thi Ly erzählt, dass das Familienleben in Vietnam sehr viel enger ist als in Deutschland. Sie vermisst ihre Eltern und die vier Geschwister, die in Vietnam leben. Einmal in der Woche telefoniert sie mit ihnen. Ein Glücksfall für die Familie ist Margot Schulze, die in der Nachbarschaft des Asia-Bistros wohnt und von Hoang thi Ly liebevoll „Oma“ genannt wird. Die 69-jährige ehemalige Krippenerzieherin ersetzt die fehlenden Großeltern, kümmert sich am Nachmittag oft um Kim und Phùóng, bäckt mit ihnen Kuchen oder schaut Trickfilme. „Das sind so nette Leute“, sagt sie. Auch Frau Hoang ist froh, dass jemand da ist, mit dem man „ein bisschen deutsch reden, Kaffee trinken und erzählen“ kann.

Deutsch zu sprechen fällt vielen Vietnamesen auch nach Jahren in Deutschland nicht leicht. Nach wie vor sei „die Sprache das größte Problem“, so Hai Bluhm. Die Vokabeln beschränkten sich oft auf das, was im Geschäft nötig sei. Ein Kontakt zur deutschen Bevölkerung, der über das Geschäftliche hinausgeht, fehle meist. Damit möchte sich Hoang thi Ly nicht zufrieden geben. Zweimal in der Woche besucht sie einen Sprachkurs, um ihre Deutschkenntnisse zu erweitern. Denn ihre neue Heimat ist hier. „Ich möchte für immer in Potsdam bleiben“, sagt sie.

Heike Kampe

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