SCHÖNBOHM meint: Aus einem Guss
Anlässlich meines Geburtstages war ich von Freunden mit meinen Gästen vor einer Woche zu einer bemerkenswerten Veranstaltung im Märkischen unweit von Potsdam eingeladen. Dort haben wir eine denkwürdige und erfreuliche Überraschung erlebt: Eine Kirchenglocke sollte an diesem Abend von dem einzigen deutschen mobilen Glockengießer gegossen werden.
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Anlässlich meines Geburtstages war ich von Freunden mit meinen Gästen vor einer Woche zu einer bemerkenswerten Veranstaltung im Märkischen unweit von Potsdam eingeladen. Dort haben wir eine denkwürdige und erfreuliche Überraschung erlebt: Eine Kirchenglocke sollte an diesem Abend von dem einzigen deutschen mobilen Glockengießer gegossen werden. Die Bürger dieser Gemeinde wollten wieder eine Glocke haben, nachdem die alte aus dem 15. Jahrhundert buchstäblich ihren wohltönenden Geist aufgegeben hatte. Sie hatte alle Kriege vom dreißigjährigen Krieg bis zum 2. Weltkrieg überlebt und war den Bewohnern über Jahrhunderte ein treuer Begleiter in Not, Trauer und bei fröhlichen Anlässen. Sie warnte die Bevölkerung vor der Feuersbrunst, rief zum Gottesdienst und zu den Beisetzungen – immer folgten die Christen ihrem Ruf. Würden jetzt zum Gießen einer neuen Glocke nur die getauften Christen oder alle Bewohner, ob Christen oder Nichtgläubige kommen?
Der Tag des Glockengießens gab eine überzeugende Antwort. Früh begann der Meister mit dem Mauern der Form so wie es in Schillers Glocke beschrieben ist: „Fest gemauert in der Erden steht die Form.“ Am Abend begann in einem Festzelt das Fest – Jung und Alt, Christen und Nichtchristen warteten gespannt auf das Glockengießen, nachdem vorher ein Kirchenchor eine Orgelhymne gesungen und ein Schauspieler Schillers Glocke rezitiert hatte. Es herrschte eine festliche und erwartungsvolle Stimmung. Das Metall der Glocke wurde aus einer sich drehenden Trommel in einem glühenden Guss pünktlich bei Sonnenuntergang in die Form gegossen, unter sprachloser Teilnahme der Zuschauer. Würde die Glocke etwas werden, mag sich mancher gefragt haben. Das werden wir erst 14 Tage später wissen. Aber die Stimmung war überwältigend, so dass in dem Festzelt ein ungestörter, gemeinsamer Gottesdienst stattfinden konnte. Manche haben zum ersten Mal seit langer Zeit an einem Gottesdienst teilgenommen, haben aber dadurch wieder Zugang zur Kirche gefunden, die ihren Vorfahren so vertraut war und ihnen bei Freud und Leid geholfen hatte. Die Teilnahme am Gottesdienst, die Gestaltung der Feier und das Beschaffen und Gießen der Glocke waren buchstäblich aus einem Guss – alles passte zu allem und die Glocke wird dann nach dem Abkühlen demnächst hoffentlich harmonisch klingen und die Bürger ihrem Ruf folgen. Ist es nicht ermutigend, auch einmal so etwas zu erleben? Wir wissen es erst in wenigen Tagen, wenn sie vollkommen ausgekühlt ist. So ist es auch bisweilen mit Glaubensfragen – gut Ding will Weile haben.
Unser Autor Jörg Schönbohm ist ehemaliger Innenminister des Landes Brandenburg, Senator in Berlin, General a.D. der Bundeswehr und Ehrenvorsitzender der CDU Brandenburg. Er lebt in Kleinmachnow.
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