Von Anne-Sophie Lang: Aus jedem Winkel der Erde
In der Wilhelmgalerie wertet die Firma Infoterra Geodaten aus – nach Erdbeben kann das Leben retten
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Innenstadt - Die Aufnahme auf Andrea Bonacks Bildschirm ist in 516 Kilometern Höhe entstanden. Sie zeigt 70 Quadratkilometer Nordalgerien: Helle Gebirgszüge, dazwischen Felder und Äcker und viele Flüsse. Bonack hat sie blau markiert, Landwirtschaft ist grün, vereinzelte Siedlungen sind rot. Verkehrswege kennzeichnet sie orange. Bei einem Maßstab von 1:3000 erkennt die junge Frau sie zielsicher in scheinbar zufälligen Linien.
Andrea Bonack ist bei der Firma Infoterra eine von 55 Interpreten – Mitarbeiter, deren Aufgabe es ist, in Satellitenbildern Strukturen zu erkennen und kenntlich zu machen: Gebäude, Landschaftsformen, Infrastruktur. Die Aufnahmen stammen vom Satelliten TerraSAR-X. Der gehört dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Infoterra zahlt für die exklusiven Nutzungsrechte. Auftraggeber für Karten aus dem All sind etwa Vermessungsämter und Umwelt-, Sicherheits- oder Forstbehörden.
Dank Radartechnik funktioniert der Satellit auch bei Wolken und Dunkelheit zuverlässig. Pro Sekunde legt er auf seiner Umlaufbahn sieben Kilometer zurück – und ermöglicht es Infoterra, „in jeden Winkel der Erde zu schauen“, sagt Geschäftsführer Jörg Herrmann. Hebt oder senkt sich die Erde, könnten sie das „im millimetergenauen Bereich messen.“ Vor dem Einsturz des Kölner Staatsarchivs hätte Infoterra also warnen können – hätten sie Anlass gehabt, hinzuschauen, sagt Herrmann.
Der Ausschnitt auf Andrea Bonacks Bildschirm wird Teil einer topografischen Karte Nordafrikas. Für eine Interpretation braucht sie knapp zwei Wochen. Schneller muss es bei der Schadenskartierung nach Naturkatastrophen gehen. Innerhalb weniger Tage wird beim sogenannten „Rapid Mapping“ aus den Geodaten eine Karte erstellt, die Ausmaß des Schadens und mögliche Versorgungsrouten zeigt. So kam Infoterra beispielsweise nach dem Erdbeben in Sichuan im vergangenen Jahr einem Hilferuf der chinesischen Regierung nach.
Auch für den Umweltschutz sind Geodaten eine wichtige Informationsquelle: So zeigt eine andere Karte etwa, wie stark europäische Gewässer mit Pestiziden belastet sind. Für die Europäische Umweltagentur EEA hat das Unternehmen die bebauten Flächen ihrer Mitgliedsstaaten kartiert. Ein erheblicher Teil Europas ist zu mindestens 20 Prozent versiegelt – das zeigen die ausgewerteten Daten von TerraSAR-X.
Gesteuert wird der Satellit im Kontrollzentrum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen bei München. Die Daten werden zunächst auf eine Bodenstation in Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern heruntergeladen – und schließlich in der Wilhelmgalerie ausgewertet. Hier sitzt das Unternehmen Infoterra mit seinen 70 Mitarbeitern seit dem vergangenen Jahr.
Bis zu ihrer Kommerzialisierung in den neunziger Jahren war die Erstellung von Geodaten eher Sache der Forschung. Inzwischen sind sie Allgemeingut – Stichwort Google Earth. Doch nicht alle Geodaten dürfen unkontrolliert weitergegeben werden. Seit 2007 regelt das Satellitendatensicherheitsgesetz den Umgang mit Informationen aus dem All. Bilder mit hoher Auflösung, die sensible Daten enthalten können, müssen erst von der zuständigen Bundesbehörde geprüft werden. Aufgenommen werden darf aber zunächst einmal alles. Im Falle von Infoterra ab Herbst auch dreidimensional: Dann soll ein zweiter Satellit starten, um fortan neben seinem „Zwilling“ TerraSAR-X herzufliegen – zwei Augen sehen mehr als eines.
Anne-Sophie Lang
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