zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: „Ausbrechen aus dem verdammten Zeitkorsett“

Montessori-Schüler eröffneten für einen Nachmittag das „Institut für Alltagsbeobachtung“

Stand:

Innenstadt – Sonnige Musik dudelt aus dem Lautsprecher vor dem Haus der Jägerstraße 37. „Heute ist wieder ein Glückstag“, ruft ein junger Mann in Showmastermanier durchs Mikro. Begleitet wird er von einer jungen Dame, die beseelt den Refrain des Liedes anstimmt. Und weiter geht es mit frohen Botschaften: „Bei uns können Sie ausbrechen aus den Sachzwängen, den alltäglichen Routinen, dem verdammten Zeitkorsett“, verspricht der Mann vorbeigehenden Passanten. Die winken ab, schauen betont weg oder wechseln die Straßenseite.

Dabei hätten sie es beim Näherkommen nicht etwa mit aufdringlichen Vertretern einer zweifelhaften Sekte zu tun bekommen – sondern mit Schülern der Klasse 9 b der Montessori Oberschule. Vier Stunden lang waren sie gestern Nachmittag die Mitarbeiter des „Instituts für Alltagsbeobachtung und menschenfreundlichere Kommunikation“.

Es war die Abschlussaktion eines Projektes unter dem Motto „Leave your mark on society“, erklärt Organisator Armin Beber, der bereits im vierten Jahr als freier Künstler mit der Montessori-Schule zusammenarbeitet, die in der vergangenen Woche als eine von fünf Schulen mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet wurde. 2006 hatte sich Beber mit den Schülern theatralisch auf die „Suche nach dem Glück“ gemacht. In diesem Jahr waren die 40 Neuntklässler bei der Themenwahl frei. Drei Wochen lang drehten sie unter Anleitung von vier Künstlern unter anderem Handyfilme, spielten Straßentheater oder verfremdeten Werbeplakate. Finanziert wurde das Projekt mit EU-Mitteln, die das Land Brandenburg im Rahmen der „Initiative Oberschule“ (IOS) vergibt.

Seinen Zweck verrät das „Institut für Alltagsbeobachtung und menschenfreundlichere Kommunikation“ eigentlich im Namen. „Die Leute gehen einfach so von A nach B – das ist doch schade“, sagt Justus, eben noch der junge „Showmaster“. Dass das so ist, haben die Schüler bei ihren Beobachtungsgängen festgestellt: Als „Daywatcher“ notierten sie, wie sich Menschen auf der Straße verhalten. Gehen sie schleichend oder zügig? Wie werden Wartezeiten an Ampeln überbrückt? Machen sie einander Platz oder wird gerempelt und gedrängelt?

„Wir wollen die Leute aus ihrem Alltag herausholen“, erklärt Mirjam, die Sängerin, das Projektanliegen. Das erreichten ihre Klassenkameraden mit kurzen Inszenierungen in den Hinterzimmern des Gebäudes: Dort fotografierte die 14-jährige Marie die Alltagsgesichter der Besucher, um ihnen dann mit einem hinreißenden Kurzfilm ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. In einem anderen Zimmer überlegten Friedrich und Undine, ob sich die Hetzerei zum Bus eigentlich lohnt und der Marienkäfer auf dem Hemdkragen nicht auch spannend sein kann. Der 15-jährige Elias schließlich lud die Gäste auf eine imaginäre S-Bahn-Fahrt ein, bei der sich ein Gespräch zwischen den Mitfahrern entspannt.

Draußen wirbt Justus unterdessen wieder engagiert um Besucher: „Spielen Sie die Rolle Ihres Lebens: Sich selbst.“ Die ernüchternde Antwort des Passanten: „Keine Zeit.“ Jana Haase

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })