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DICHTER Dran: Auserlesen

Eine Kolumne ist keine Restaurant-Kritik. Das weiß ich.

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Eine Kolumne ist keine Restaurant-Kritik. Das weiß ich. Aber es geht auch nicht um Restaurants. Es geht um Tempel, also um Lebenssinn, Genuss und Glück. Seit mehreren Monaten habe ich das Gefühl, dass mit Potsdam etwas vor sich geht. Es ist nichts Offenkundiges, nichts für die Medien, sondern etwas, das einen immer mal wieder wie von Ferne anweht. Mich wehte es zum ersten Mal während der Lichternacht im Schloss Sanssouci an. Das mag am beleuchteten Rokoko gelegen haben, an den Violinenklängen in den Neuen Kammern oder an der barockisierenden Varietegruppe „Aristokraten“, die mit verspieltem Witz die Leute auch im Regen ins Träumerische entführte. Es wehte mich mit einem verzaubernden Duft an, als ich das „Quendel“ in Potsdam-West betrat. In der Belle Etage eines Eckhauses erlebte ich beim Gericht „Himmel und Hölle“ eine Geschmacksexplosion, die ich nur steifserviettigen Sternerestaurants zugetraut hätte. Hier bekam ich auch eine Serviette, saß aber lässig am Holztisch mit Kerze. Sollte es mitten in Potsdam ein Lokal geben, das mit seiner originellen und reichhaltigen Küche international mithalten kann? Ich habe es getestet. Zuerst lud ich eine amerikanische Freundin dorthin ein, dann eine schwedische. Beide kommen aus Großstädten, in denen sich – meist schwedische – Starköche tummeln. Beide hassen kleine Portionen und lieben die hohe Kunst des Einfachen. Die eine bestellte die Wachtel, die andere das Calvados-Apfel-Risotto. Beiden musste ich hinterher versprechen, nichts über dieses Lokal zu schreiben, damit sie dort immer einen Tisch bekämen. Es störte sie wenig, dass wir eine Weile auf das Essen hatten warten müssen, weil in der Küche alles handverlesen wird. Das nächstemal nehme ich sie in den französischen Weinladen „in vino“ mit. Auch dort wagt sich Potsdam ins Träumerische vor. Auch dort versteht man sich aufs Sinnliche und verströmt es mit einer Leichtigkeit, die in Brandenburg nicht zu den größten aller Tugenden gehört.

Unsere Autorin Antje Rávic Strubel lebt und arbeitet als Schriftstellerin und Übersetzerin in Potsdam. Für ihren 2007 erschienen Roman „Kältere Schichten der Luft“ erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen.

Antje Ravic Strubel

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